Rezension

Mit viel Optimismus durch die Nachkriegsjahre

Glückskinder - Teresa Simon

Glückskinder
von Teresa Simon

Bewertet mit 4 Sternen

„Glückskinder“ erzählt von der dramatischen, bewegten Zeit der letzten Kriegstage, berichtet über den Einmarsch der Amerikaner in die bayrische Hauptstadt München und dessen Umfeld und läßt uns teilhaben an dem schwierigen Leben und Überleben der Nachkriegsjahre bis 1948.

Die Handlungsstränge, die sich recht bald miteinander verbinden, werden im wesentlichen durch zwei junge Frauen bestimmt. Da ist zum einen die Niederländerin Griet van Mook. Sie befindet sich mit anderen Gefangenen in den letzten Kriegstagen auf einem qualvollen Marsch. Für die ausgemergelten, entkräfteten Zwangsarbeiterinnen aus dem KZ-Außenlager Giesing ist das Ziel ungewiß. Es ist nicht wie sonst die Agfa, die Munitionsfabrik im Südosten Münchens. Zum Glück können sie von den Amerikanern befreit und nach und nach in die Freiheit entlassen werden. Zum anderen führt uns die Autorin mit ihrer Figur der Antonia Brandl (genannt Toni) in die Ruinenlandschaft des zerstörten Münchens. Auf dem Schwarzmarkt in der Möhlstraße und auch anderswo, versucht Toni für sich und die Familie das Nötigste zu organisieren. Der Waren- und Tauschhandel blühen. Alles andere liegt im argen. Griet und Toni treffen aufeinander, als die Niederländerin von den Amerikanern in die Wohnung einquartiert wird, die schon von Tonis sechsköpfiger Familie belegt ist.

Mir gefällt von Beginn an die anschauliche, einfühlsame Erzählweise von Teresa Simon (Pseudonym von Brigitte Riebe). Ich fühlte mich direkt angesprochen und verfolgte das Geschehen, ohne zu merken, wie ich durch die Seiten flog. Griet und Toni sind wie die vielen anderen Protagonisten fiktive Figuren, denen aber reale Personen zugrunde liegen. Wie im richtigen Leben lassen sich die Verhaltensweisen der Menschen nicht immer nachvollziehen. Das ist hier bei Griet und besonders bei Benno der Fall. Als Leser*in muss man sich selbst ein Bild davon machen, inwieweit man mit den Figuren in ihrer Entwicklung, in ihren Handlungsweisen mitgehen kann. Für alle ist es eine schwierige Zeit. Als erstes musste ein Dach über den Kopf organisiert werden, danach folgte die tägliche Existenzsicherung. Die zugeteilten Rationen sind zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel. Im Umschlag des Buches wird aus dem Münchener Merkur zitiert:

„Den Schmuck hat man als Butter aufgegessen. Die Meissner Tassen trägt man jetzt als Schuh. So wächst dem Eigner, was er einst besessen, von Grund auf umgewandelt wieder zu...“

Ich spürte in den Zeilen den Kampf um etwas Normalität in diesen schweren Zeiten. Die Atmosphäre wurde differenziert aufgenommen. Es gab den Hunger, den Mangel an allem, die eisigen Temperaturen in dem Jahrhundertwinter, den darauffolgenden heißen Sommer, die dementsprechenden miesen Ernteerträge, Krankheiten und die fehlenden Medikamente. Aber es gab auch die Wünsche nach Nähe, nach Liebe und Geborgenheit, nach Musik, Tanz und Zerstreuung. Mir wurde mit den Glückskindern Zuversicht und optimistische Stimmung vermittelt, obwohl mir die Verwicklungen in ihren Liebesegeschichten ein wenig zuviel und speziell bei Benno und Leni nicht ganz nachvollziehbar waren.

Fazit:

Ich verbrachte trotz kleiner Einschränkungen schöne Stunden mit den Glückskindern. Es ist eine greifbare Story mit Menschen, die ich mir lebhaft vorstellen kann in ihrer Authenzität, in ihrem Hunger nach Leben.

Im Anhang gibt es durch die Autorin nähere historische Erklärungen zum Buch und etwas ganz Besonderes, wie ich finde: einen Rezeptteil mit Originalrezepten aus dem Jahre 1946!