Rezension

Menschenopfer

Alles glänzt
von Jacqueline Woodson

Bewertet mit 4 Sternen

Nach anfänglicher KitschmitSoßeGeschichte erholt sich der Roman zur Geschichte von Emanzipation und des dafür zu entrichtenden Preises.

Es geht um die uralte Geschichte einer zu frühen Schwangerschaft. Jaqueline Woodson erzählt damit natürlich nichts Neues. Doch mit wenigen Pinselstrichen stellt sie einen Kontext zur gesamten Geschichte schwarzer Menschen her.

Der Roman beginnt mit den Betrachtungen der Großeltern, die anlässlich des 16ten Geburtstages eine Art Ball für ihr Enkelkind Melody geben. (Wie altmodisch).

Der Teil, in dem die Großeltern ihre Verzweiflung von einst über die frühe Schwangerschaft ihrer Tochter bereuen und sich an Meldody erfreuen, sie ist sozusagen „das Licht ihres Lebens“ ist ziemlich schwülstig und kitschig. Vergötterung von Enkelkindern ist privat ok, romanmässig verwurschtet aber stinklangweilig. Bitte, people, langweilt mich nicht mit Fotos und Elogien auf eure Enkel!

Aber allmählich konzentriert sich das Buch auf die junge Mutter, Iris. Iris ist nicht bereit wegen des Kindes ihr ganzes Leben zu opfern, sie geht nach 2 Jahren mehr oder weniger liebloser Aufzucht weg, um zu studieren. Ihre Bindung zu dem Kind löst sich mehr und mehr auf. Der junge Kindsvater zieht zu den Großeltern, um für sein Kind da zu sein. Die frühe Schwangerschaft ist Glück und Unglück in einem.

Der Kommentar: Die Autorin kommt mit wenigen Stilmitteln aus und passt sich sprachlich an die Unterschicht an. Unterschicht, die krampfhaft versucht, zur Mittelschicht aufzusteigen. Deshalb ist die Sprache oft so platt, dass es schon kaum mehr Freude macht, den Roman zu lesen. Aber es passt.

Der Autorin gelingt es, die Gefühlswelt der Familie gezielt darzustellen. Die Zerrissenheit von Iris, die Umkompliziertheit Melodys, die auf sie projizierten Wünsche und Gedanken der Großeltern, der den Preis bezahlende Vater. All das kommt mit voller Wucht rüber. Glücklich werden sie alle nicht, die Betroffenen, aber sie leben ihr Leben.

Die Besonderheit des Romans liegt in der Irisfigur. Iris muss ein Opfer bringen. Sie hat die Wahl zwischen der Opferung des Kindes oder der Opferung von sich selbst. Eine zu frühe Schwangerschaft bedeutet, es ist ein Menschenopfer fällig.

Fazit: Die anfängliche Kitschigkeit weicht der Darstellung tiefer Einschnitte in ein Leben und deren Auswirkungen auf die menschliche Psyche.

Kategorie: Belletristik
Verlag: Piper, 2021

Kommentare

Emswashed kommentierte am 22. Mai 2021 um 15:32

Manchmal liegt unter der kitschigen Soße doch noch ein Mühlstein begraben. Schöne Rezi!