Rezension

Man muss sich drauf einlassen

Das Vorkommnis -

Das Vorkommnis
von Julia Schoch

Bewertet mit 5 Sternen

Man muss sich drauf einlassen

Wir haben übrigens denselben Vater“

Nach einer Lesung in Norddeutschland ist es dieser Satz, den eine Frau zu der namenlosen Ich-Erzählerin des neuen Romans von Julia Schocht sagt.

Und es ist dieser eine Satz, das Vorkommnis, diese Lebenslüge ihres Vaters, der die Protagonistin dazu bringt, in den folgenden Jahren ihr gesamtes Leben zu überdenken. Sie hinterfragt ihre Kindheit die sie in der DDR verbracht hat, das dortige System, die Beziehung zu ihren Eltern und ihrer „richtigen“ Schwester. Letztlich beginnt sie sogar an ihrer Ehe zu zweifeln.

Diese Gedanken bringt die Protagonistin, eine Schriftstellerin, nun zu Papier.

 „…..habe ich mich manchmal hingesetzt, um für das Auftauchen der fremden Frau Worte zu finden. Ich habe das Geschehen zerlegt, weil die Dinge sonst über mich hergefallen wären. Ich musste jedes Mal neu ansetzen. Es war schwer, die Geschehnisse, Gefühle und Gedanken in die richtige Reihenfolge zu bringen.“

Dieses Romanzitat (Seite163) trifft den Stil, in dem die Erzählerin ihre Gedanken und Gefühle hier zu Papier bringt, genau.

Erzählt wird in kurzen Kapiteln, ohne das auf den ersten Blick ein roter Faden erkennbar wäre und die Tatsache, dass keine der im Buch vorkommenden Personen mit Namen benannt wird führt dazu, dass der Leser die niedergelegten Gedanken und Gefühle sehr distanziert betrachtet.
Mir ist es jedenfalls nicht gelungen, zu einer der Personen eine Beziehung aufzubauen.

Aber genau darin liegt der Reiz des Buches. Es bietet viele Denkanstöße, die es wert sind, sie weiterzuverfolgen und letztlich kann man die Entwicklung, die das Leben der Ich-Erzählerin nach dem Vorkommnis nimmt, trotz der nicht leicht zu konsumierenden Schreibweise sehr gut nachvollziehen.

Besonders gefallen hat mir persönlich, wie die Erzählerin immer wieder versuchtes, zu ihrem realen Leben Parallelen in der Literatur zu finden.

Ich hatte aufgrund der Leseprobe definitiv einen anderen Romaninhalt, nämlich eine dieser üblichen Familiengeschichten erwartet, und habe mich anfangs deshalb auch mit dem Buch schwer getan. Nachdem ich mich aber einmal auf den Schreibstil eingelassen hatte, entwickelte das Buch einen Reiz, dem ich mich nicht mehr entziehen konnte.

Mein Fazit:
Wer eine normale Familiengeschichte sucht, ist mit dem Buch definitiv nicht gut beraten. Wer aber bereit ist, sich auf das Buch einzulassen, die Denkanstöße aufzunehmen und weiterzuverfolgen, der hält einen großartigen Roman in der Hand. Von mir eine Leseempfehlung!