Rezension

Man braucht keine Dinge, um sich zu erinnern

Das kleine große Glück
von Lucy Dillon

Bewertet mit 4.5 Sternen

Gina ist 33 Jahre alt und steht vor einem Neuanfang. Nachdem sie mit Hilfe ihres Ehemannes Stuart eine Brustkrebserkrankung überstanden und ein altes Haus renoviert hat, stellt sie plötzlich fest, dass sie sich im normalen Alltag eigentlich nichts zu sagen haben. Als Stuart sie dann auch noch mit einer jüngeren Frau betrügt, trennen sich die Beiden. Gina zieht in eine kleine Wohnung und ist geschockt als das Umzugsunternehmen mit ihren Sachen eintrifft: Ihre ganze Wohnung ist bis unter die Decke vollgestopft mit Kisten, Kartons und sonstigem Kram. Alles Dinge, die sie bisher eifrig angesammelt und als Erinnerungsstücke für unentbehrlich gehalten hat. Gina will sich nicht mehr mit so vielen Gegenständen umgeben und von diesen einengen lassen und beschließt, dass sie aus all diesen Kisten nur 100 Gegenstände behalten möchte: Alles andere wird gespendet, verschenkt oder verkauft. Und so fängt sie nach und nach an die Kisten auszupacken und auszusortieren und stößt dabei immer wieder auf Dinge, die Erinnerungen in ihr auslösen: An ihre Kindheit, ihren Vater, ihren Stiefvater Terry, ihre erste große Liebe Kit, die durch ein traumatisches Erlebnis endete, an die Reisen mit Stuart, ihre beste Freundin Naomi… Nur einige wenige Teile behält sie.

Gina versucht ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Dabei hilft ihr ein Auftrag zur Renovierung eines Hauses, das es ihr schon immer angetan hatte. Mit dem Besitzer Nick freundet sie sich schnell an, während sie mit seiner Frau Amanda nicht richtig warm wird. Es kommen noch andere Freundschaften und ein Hund hinzu und Gina fühlt sich schon bald nicht mehr so einsam. Und in ihren Gedanken macht sich auch immer mehr der Fotograf Nick breit…

Mir hat dieses Buch sehr gut gefallen. Der Schreibstil ist sehr detailreich. Die ganze Geschichte setzt sich aus vielen Sprüngen in die Vergangenheit zusammen. Man erfährt immer mehr über Gina, in vielen kleinen Anekdoten und Rückblicken lernt man sie immer besser kennen und hat bald das Gefühl mitten im Geschehen zu sein. Gerade diese kleinen Geschichten aus ihrer Vergangenheit, die meistens mit einem Gegenstand aus einer ihrer Kisten eng verknüpft sind, haben es mir angetan, weil sie den Charakter aller handelnden Personen hervorragend zum Ausdruck bringen. Alle Personen sind mit so einer Tiefe geschildert, dass man sich sehr gut in sie hineinversetzen kann. Ich habe wirklich mitgelitten und mitgelacht. Im Laufe der Geschichte verliert sich die anfangs so wichtige Liste mit den 100 Dingen immer mehr, am Ende findet sie kaum noch Erwähnung. Dies soll aber vermutlich nur die Botschaft des Buchs unterstreichen: „Man braucht keine Dinge, um sich an die Liebe zu erinnern, wenn man sie im Herzen trägt.“ Ich hätte trotzdem einen Schlussstrich unter das Listenthema gut gefunden, das hätte die ganze Sache etwas abgerundet.

Ginas Besitz wird für sie immer unwichtiger und sie schafft es sich mit verschiedenen Personen auszusöhnen und mit ihrem Leben Frieden zu schließen, bis ihr schließlich klar wird, worauf es im Leben wirklich ankommt: Nicht Erinnerungen nachzuhängen oder Zukunftspläne zu schmieden, sondern jeden einzelnen Augenblick zu genießen. Toll geschriebenes Buch mit einer äußerst weisen Botschaft, das mich sehr berührt und zum Nachdenken gebracht hat.