Rezension

Lest. Dieses. Buch!

Atemnot - Ilsa J. Bick

Atemnot
von Ilsa J. Bick

*Worum geht's?*
Es gibt Geschichten, in denen das Mädchen den Prinzen fi ndet, und sie leben glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Es gibt Geschichten, in denen das Monster das Mädchen umbringt, und alle trauern. Und es gibt Geschichten wie die von Jenna Lords, deren Leben mit ihrem kontrollbesessenen Vater und der alkoholkranken Mutter fernab jedes Märchens ist. Als der engagierte Lehrer Mitch Anderson Jennas wichtigste Bezugsperson wird, entspinnt sich eine Geschichte, in der schwer zu sagen ist, wer der Prinz und wer das Monster ist …

*Meine Meinung:*
Unter all den Neuerscheinungen, die jeden Monat den Buchmarkt mit neuen Geschichten überfluten, gehen sie schnell verloren: die wahren Buchschätze, deren Geschichten sich tief in das Gedächtnis ihrer Leser brennen. Die berühren, bewegen, begeistern. „Atemnot“ von „Ashes“-Autorin Ilsa J. Bick ist eines dieser Bücher. Eine Geschichte, die einen sogar als Leser an seine Grenzen treibt, die einen sprachlos an den Seiten kleben lässt und so sehr mitreißen, dass man alles um sich herum vergisst. „Atemnot“ ist ein absolutes Must-Read, ein Highlight unter den Jugendbüchern, das ich am liebsten in jedes Bücherregal der Welt zaubern würde.

„Atemnot“ übt einen ganz besonderen Reiz auf seine Leser aus. Schon nach wenigen Sätzen spürt man durch die Buchdeckel hindurch, dass man einen Roman begonnen hat, der unter die Haut gehen und schockieren wird. Man hält hier ein Psycho-Thriller in den Händen, der einen nicht mehr loslassen wird, bis man die letzte Seite erreicht hat. Die Geschichte um Jenna, die in ihrem Lehrer Mr. Anderson endlich die Geborgenheit findet, nach der sie sich so sehr sehnt, greift so viel tiefer, als man es sich vorstellen kann. In diesem Buch gibt es kein klassisches „Gut und Böse“ und man weiß nie, was geschehen wird.

Bick wählt einen ganz besonderen Erzählstil: Man liest keine chronologisch angeordneten Handlungsstränge, wie in anderen Büchern üblich, sondern die transkribierten Aufzeichnungen einer Tonaufnahme, die Protagonistin Jenna für einen Polizeikommissar aufnimmt. Das Geschehen setzt also am Ende der Geschichte ein, in einem Krankenhaus, in welchem Jenna behandelt wird. Man erfährt bereits zu Beginn, wie es mit Jenna ausgehen wird, und bekommt daraufhin rückblickend berichtet, was der eiskalt wirkenden Protagonistin in der letzten Zeit zugestoßen ist.

Jenna ist keine Protagonistin, mit der man sich leicht identifizieren kann. Sie hat in ihrem jungen Leben bereits viele schreckliche Dinge erleben müssen, die nur wenige werden nachvollziehen können. Sie ist nicht liebenswürdig, freundlich oder auf Anhieb sympathisch, wie man es von Jugendbuch-Protagonistinnen kennt. Man muss Jenna erst einmal kennenlernen, ihre Gedanken und Gefühle – vor allem aber ihre Ängste und Sehnsüchte – durch sie erleben, ehe man ihre Einstellung und ihre Entscheidungen verstehen kann.

Ohne dass man es bewusst bemerkt, wird aus dem Mitleid, das man zu Beginn für Jenna empfunden hat, eine tiefe Empathie, eine Verbundenheit, wie man sie selten für eine Romanfigur verspürt. Bicks Arbeit als Jugendpsychologin kommt ihr hier sehr zugute, denn sie stellt Jennas Psyche derart realistisch dar, dass man beim Lesen so manches Mal vergisst, dass man bloß ein Buch in den Händen hält und keine wahren Aufzeichnungen.

Man entwickelt in „Atemnot“ eine ganz besondere Beziehung zu den einzelnen Charakteren. Nicht nur zu Jenna, sondern auch zu ihrem Lehrer Mr. Anderson, ihren Mitschülern David und Danielle oder ihren Eltern. Dabei spielt es in diesem Buch überhaupt keine Rolle, ob man mit einem von ihnen sympathisiert oder nicht. Man trifft auf einzigartige Charaktere, die einen faszinieren, obwohl man ihnen partout nicht über den Weg traut, und facettenreiche Figuren, die trotz ihrer schwierigen Charakterzüge und Handlungen begeistern können. Wer spielt ein faires Spiel? Wer ist wirklich derjenige, der er vorgibt zu sein, und wer trägt bloß eine falsche Maske? Diese Ungewissheit lässt einem so manches Kapitel die Nackenhaare zu Berge stehen.

Zwischen den Buchdeckeln stecken schaurige Geheimnisse und schreckliche Probleme. Während andere Bücher schnell in ein gewisses „Klischee“ abdriften, sobald sie solche Themen behandeln, bleibt „Atemnot“ stets erschreckend realistisch. Gewalt, Kontrolle und Macht spielen in der Geschichte eine entscheidende Rolle. Sowohl auf psychischer als auch auf physischer Ebene geht der Roman bis ans Limit und treibt nicht nur seine Charaktere bis an ihre Grenzen.

Im Laufe der Geschichte ertappt man sich so manches Mal dabei, einer falschen Spur gefolgt zu sein. Häufig lässt man sich vom Offensichtlichen verführt zu Vermutungen hinreißen, die der Wahrheit nicht einmal nahe kommen. Ilsa J. Bick spielt geschickt mit ihren Lesern und ihren Gedankengängen und zwingt sie immer wieder zum Nachdenken. In „Atemnot“ lernt man schnell, hinter die Fassaden zu schauen und den betrügerischen Oberflächlichkeiten zu misstrauen.

„Atemnot“ ist wahrlich keine leichte Lektüre. Hier wird nichts beschönigt oder aus Rücksicht auf den Leser heruntergespielt. Die Autorin nimmt kein Blatt vor den Mund und beschreibt die Handlung mit einer grausamen Authentizität, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. „Atemnot“ ist sicherlich kein Buch für schwache Nerven, aber definitiv ein Must-Read für alle, die Lust auf eine spannende, mitreißende und vor allem anspruchsvolle Geschichte haben.

*Fazit:*
Ich bin absolut sprachlos. „Atemnot“ von Ilsa J. Bick ist ein Buch, das ich am liebsten in jedes Bücherregal der Welt stellen würde. Selten hat mich eine Geschichte so mitgerissen, so tief beeindruckt, mich emotional so gefesselt, dass ich absolut alles stehen und liegen gelassen habe, nur um weiterlesen zu können. Jennas Geschichte sorgt für Gänsehaut und treibt nicht nur die Charaktere an ihre psychischen Grenzen! Unbedingt lesen! Ich vergebe 5 Lurche – Lieblingsbuch-Alarm!