Rezension

Leise Töne

Vertrauen -

Vertrauen
von Dror Mishani

Bewertet mit 4 Sternen

„Vertrauen“ ist mein zweites Buch des israelischen Autors Dror Mishani. Vom Vorgänger „Drei“ war ich begeistert. Eine ungewöhnliche und sehr fein erzählte Geschichte, die erst spät Zusammenhänge offenbart und auf leise Art fesselt. Toll!

„Vertrauen“ ist anders und doch wieder ähnlich. Der deutlichste Unterschied: Der Polizeiermittler, der in „Drei“ nur eine Nebenrolle einnimmt, ist hier eine zentrale Figur. Die Geschichte – das wusste ich anfangs nicht – ist Teil einer Reihe und damit näher am klassischen Kriminalroman. 

Erzählt wird aus zwei Perspektiven. Inspektor Avi Avraham, ein netter Durchschnittstyp, ermittelt im Fall eines verschwundenen Touristen. Nachdem die Indizien recht bald in eine bestimmte Richtung weisen, muss er sich fragen, ob der Fall nicht eine Nummer zu groß für ihn ist und ringt um eine Entscheidung. Diese wird ihm alles andere als leicht gemacht.

Im zweiten Handlungsstrang berichtet uns Liora, Mutter mehrerer Töchter, wie sie ein Neugeborenes aussetzt und anschließend die Befragung durch die Polizei erlebt. Das alles gespickt mit Details aus ihrem Leben und ihrer Vergangenheit. Liora irritiert in ihrer Art und gibt dem Leser Rätsel auf. Man bekommt sie nicht zu fassen. Ihre Beziehung zum ausgesetzten Baby ist zunächst unklar. Sympathisch ist Liora nicht.

Ich bin von einem Zusammenhang der beiden Fälle ausgegangen und grübelte die ganze Zeit, worauf wohl alles hinausläuft. Erwartet die Leser am Ende ein raffinierter Twist?

Das sollte jeder für sich selbst herausfinden. Ich fand die Geschichte nicht ganz so beeindruckend wie „Drei“, aber trotzdem sehr schön erzählt. Der Text fließt dahin, die Krimielemente sind einerseits klassisch (Zeugenbefragungen, Tatorte aufsuchen usw.), jedoch nicht in der Weise überzeichnet, wie man es von Agatha Christie kennt. Georges Simenon, Henning Mankell – das sind Mishanis Vorbilder. Sein Stil ist eloquent, aber nicht abgehoben. Wortgewandt, gemächlich. Sein Fokus liegt auf den Menschen, auf ihren Beweggründen, die selbst bei näherem Hinsehen nicht immer nachvollziehbar sind und sich oft nur aus den Lebensumständen heraus erklären. Wer lautes Action-Getöse sucht, ist hier falsch.

Das titelgebende Motiv „Vertrauen“ taucht auf unterschiedliche Weise auf. Nach dem Zuklappen kann man eine Weile darüber nachdenken. Es geht um moralisch richtiges Handeln, um Verpflichtungen - aber wem gegenüber? Auch Avi Avraham gerät in eine Zwickmühle. Daneben fließen israeltypische Themen ein, etwa die schwierige Beziehung zwischen Juden und Arabern. 

Erschwert wird das Lesen ein wenig durch die Fülle an Namen, deren Kenntnis offenbar vorausgesetzt wird, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, dass dies offenbar nicht der erste Teil der Reihe ist. Der Auftakt erscheint - sollte ich richtig recherchiert haben - im Herbst bei Diogenes neu. Ich freu mich drauf!