Rezension

Kein Atlas im herkömmlichen Sinn

Atlas der Zukunft -

Atlas der Zukunft
von Ian Goldin

Bewertet mit 4 Sternen

Landkarten üben eine seltsame Faszination auf viele Menschen aus. Ob Anfänger oder hauptberuflicher Kartograf - man kann Landkarten stundenlang betrachten und sich nicht daran sattsehen. Karten begegnen uns im Alltag überall, sei es als kostbares handkoloriertes Einzelstück, oder als gedrucktes Massenprodukt oder als Grafik im Navigationssystem im Auto. Doch sie können noch viel mehr als nur die Topografie von Orten darstellen.

 

Mit diesem Buch zeigen die Autoren Ian Goldin und Robert Muggah welche Möglichkeiten sich durch die Verschneidung von Satellitenbildern mit Daten aller Art den Lesern bieten. Sie stellen „vorher-nachher-Bilder“ gegenüber und zeigen damit die Veränderungen, die von Menschen geschaffen, unseren Planeten veränder(te)n. Nicht immer zum Besten der Erde und seiner Bewohner.

 

Oder wussten Sie schon, dass die USA mehr Erdgas, das sie durch das umstrittene Fracking gewinnen, ungenutzt in die Atmosphäre blasen, als für die Beheizung von 4,25 Millionen Häusern genützt werden könnten? Diese Leuchtfackeln sind auf S. 84 sichtbar.

 

In 100 Karten, die nach 13 Themen geordnet sind, wird für die Leser u.a. der Raubbau an der Natur, und der damit verbundene Klimawandel, die Ungleichheit, Unzufriedenheit, Bevölkerungsentwicklung und Migration, Urbanisierung, sowie die Verslumung und Kriminalität dargestellt. Dabei fällt auf, dass manches sehr subjektiv betrachtet und vielleicht (bewusst?) verfälscht wird. Denn wie kann es sein, dass ausgerechnet die USA als weiße Fläche dargestellt wird, wenn es aus den Seiten 254 ff. um das Thema „Gewalt außerhalb von Kriegshandlungen“ geht? Keine Schulmassaker, keine Polizeigewalt, keine Unfälle mit Waffen in Privathaushalten? Es scheint als hätten die Autoren dies ausgeblendet und irrational handelnde Menschen außerhalb der USA angesiedelt.

 

Auch so manche andere Äußerung ist mit Vorsicht zu betrachten. So soll es um 1500 im damaligen Österreich, das bekanntlich ein wenig größer war als unsere heutige Republik, den Autoren nach, nur zwei Druckerpressen gegeben haben (S.433). Dem widerspricht allerdings die Wiener Stadtgeschichte, die bereits zwischen 1482 und 1485 die Namen von zwei Druckereien mit Druckerpressen nennt.

 

Das Buch ist kein Kartenwerk im Sinne der Kartografie, sondern eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Menschheit. Die Texte sind interessant, die Fragestellungen oft unbequem und kontrovers. Die Abbildungen dagegen sind häufig unscharf oder durch ungeschickte Farbwahl schlecht zu entziffern.

Daneben stört auch der Falz, der so manche grafische Information bestimmter Regionen einfach schluckt.

 

Fazit:

 

Für echte Karten-Liebhaber und Kartografen ist das Buch vermutlich eine Enttäuschung. Wer gerne aufschlussreiche Analysen grafisch aufbereitet haben möchte, kann an diesem Buch seine Freude finden. 4 Sterne.