Rezension

Kälteeinbruch

Das Vorkommnis -

Das Vorkommnis
von Julia Schoch

Bewertet mit 3.5 Sternen

Beim Lesen von Julia Schochs "Das Vorkommnis" hat sich bei mir immer mehr der Wunsch für die Autorin eingeschlichen, nichts von alledem möge autobiographisch sein. Doch mit dem Fortschreiten des Romans hatte ich immer mehr das Gefühl, die Autorin hat unter dem Einstreuen des Vorkommnisses, dass ihre ihr unbekannte Halbschwester bei einer ihrer Lesungen auftaucht und sich vorstellt, lediglich ihr Tagebuch aus ihrer eigenen Zeit als Gastdozentin in Bowling Green verarbeitet. Aber autobiographisch oder nicht, der Roman, insbesondere die Gedanken der Erzählerin, sind befremdlich, kalt, sogar immer mehr auch abstoßend. Ich wünsche der Autorin daher, dass die Erzählerin hier eine rein fiktive Person mit rein fiktiven Gedanken ist, denn eine solch kalte Person habe ich bisher noch nie kennen gelernt.

Der Roman liest sich eigentlich gut; auch die kurzen Kapitel und die Kürze des Romans tragen dazu bei, dass man ihn einfach so weglesen kann, und ich habe ihn auch gern immer wieder zur Hand genommen, das doch aber auch mit immer mehr Zweifeln.

Der Aufhänger für den Roman wurde bereits erwähnt: Die Erzählerin wird von ihrer Halbschwester auf einer Lesung angesprochen; sie hat sogar Kenntnis darüber, dass sie eine Halbschwester hat. Von da an kreisen ihre Gedanken um diese Halbschwester, aber immer mehr rückt das Geschehen davon ab und wechselt in eine Erzählung ihrer Zeit in Bowling Green, mit Details, die mit der Haupthandlung nichts zu tun haben, die für den Leser und die Leserin schlichtweg irrelevant sind. Auch daher kam mir immer mehr der Gedanke, dass sich die Dinge im Leben der Autorin auch so zugetragen haben könnten.

Das Buch besteht mehr aus Gedanken als aus einer fortschreitenden Handlung. Die Überlegungen der Erzählerin, zu denen ich in ihrer Kälte und Entfremdung keinen Zugang finden konnte, werden immer extremer. Schon von Anfang an zeigt sich kein Funken Liebe zu ihren Kindern, die sie als "das ältere/jüngere Kind" bezeichnet. In Bowling Green hat sie neben der Wohnung, die sie mit Mutter und Kindern teilt, noch ein Studio angemietet. So entzieht sie sich immer wieder, auch nachts, ihren Mutterpflichten, sie scheinbar dann ihre Mutter übernehmen muss. Als ihr Ehemann zu Besuch kommt, sinniert sie darüber, ob das wirklich ihr Mann ist oder nur eine perfekte Kopie. Das Miteinander wirkt mechanisch.

Fast unerträglich wird der Roman dann, als die Erzählerin ihr Familienleben als eine Abfolge von Routinen dastellt: Man trifft sich morgens, geht auseinander, findet sich abends wieder zusammen ein. Es gibt nirgends einen Funken von Liebe, nur Entfremdung, das auch von den eigenen Kindern. Die Kälte sorgt für eine unangenehme Gänsehaut, die Erzählerin möchte man in psychiatrische Behandlung schicken.

Es gibt aber keinen Zweifel darüber, dass Julia Schoch schreiben kann. Es gab keinen Moment, an dem ich das Buch nicht gern beenden wollte. Daher gibt es von mir noch drei Sterne für ein ungewöhnliches Buch.