Rezension

Jahreshighlight!!!

Von hier bis zum Anfang
von Chris Whitaker

Bewertet mit 5 Sternen

Selten waren meine Erwartungen an einen Roman so hoch wie bei VON HIER BIS ZUM ANFANG von Chris Whitaker. Geschuldet war das vor allem dem vorangegangenen, immer wieder auftauchenden Hinweis und Vergleich mit "Der Gesang der Flusskrebse von Delia Owens", welches ich Anfang des Jahres gelesen und zu meinem Jahreshighlight gekürt habe.

Es tobten also Verlangen nach einer ähnlich atmosphärischen Geschichte, sowie jede Menge Skepsis, ob dieser Roman halten kann, was er verspricht, in mir. Letztere konnte der Autor ziemlich schnell ausräumen, denn die Geschichte um die Geschwister Duchess und Robin zog mich schon nach wenigen Seiten in einen düsteren und beklemmenden Sog, dem ich mich weder entziehen konnte noch wollte.

Schauplatz ist eine Kleinstadt in Kalifornien, in der jeder Jeden kennt und in der sich vor 30 Jahren ein schreckliches Ereignis zugetragen hat, dass das Leben der beiden Kinder unwillkürlich vorgeprägt hat. Das Opfer damals war ihre Tante Sissy, selbst noch ein Kind. Der Mörder war der damalige Freund ihrer Mutter Star, der zum Zeitpunkt der Tat erst 15 Jahre alt war.

Star, die seit dem Tod ihrer Schwester und der Verhaftung des Freundes mit jeder Menge Verlust und weiterer bestürzender Ereignisse konfrontiert war, strauchelt durchs Leben. Alkohol, Drogen und ein starkes Trauma bestimmen ihren Alltag; sie ist kaum fähig sich vernünftig um sich selbst, geschweigedenn sich um ihre Kinder zu kümmern.

Duchess übernimmt deshalb mit ihren gerade einmal 13 Jahren die Rolle einer Mutter, kümmert sich um den erst 5jährigen Robin und hat, so traurig es auch klingt, schon lange begriffen, dass das Leben jemandem wie Ihresgleichen Nichts schenkt. Deshalb sieht und bezeichnet sie sich selbst als Outlaw und hat sich einen harten Panzer zugelegt, der nach außen ganz deutlich macht, dass man sich besser nicht mit ihr anlegen sollte.

Die einzige Person, in der sie etwas Gutes sehen kann ist Chief Walker, der von Anfang an da war, der ein Auge auf Star und die Kinder hat und dessen eigene Geschichte mit der Ihren stark verwurzelt ist.

Als Vincent King nach 30 Jahren entlassen wird und nach Cape Haven zurückkehrt, setzt sich ein Hebel in Gang, der eine ganze Reihe von weiteren schlimmen und herzzerreißend dramatischen Ereignissen auslöst.

Chris Whitaker hat eine unglaublich spannende und fesselnde, aber auch furchtbar tragische Geschichte geschrieben, die mir sehr ans Herz ging und mich tief im Inneren erschüttert hat. Immer wieder habe ich mich gefragt, wie viel Elend ein einzelner Mensch wohl aushalten kann, bis er endgültig die Hoffnung auf nur ein klitzekleines helles Licht in all der Dunkelheit, die ihn umgibt, verliert.

Er verleiht all seinen Charakteren scharfe Züge, Ecken und Kanten, schafft es aber auch, zu vermitteln, dass in jedem Charakter, in dem man nur Schlechtes vermutet, etwas Gutes findet. Und andersrum.

Immer wieder gibt es Wendungen, die man nicht kommen sieht, immer wieder tauchen neue Verbindungen und Geheimnisse auf, die man zu kombinieren versucht. Und jedes Mal, wenn man denkt, man hätte alle Puzzleteilchen zusammen, vermischt er sie neu.

Seine Beschreibungen sind sehr bildhaft und detailliert, ja ich würde sogar fast sagen cineastisch. So gibt es beispielsweise eine Szene, in der ich vor meinem inneren Auge Clint Eastwood als Hal gesehen habe. Wie er mit stoischer Gelassenheit auf der Veranda des Farmhauses sitzt, das Gewehr zu seinen Füßen, die Zigarre im Mundwinkel und sich von einer 13jährigen Duchess sagen lässt, dass er sich gefälligst "verpissen" soll.

Ja, ihr Ton ist rau und für eine 13jährige wirklich heftig. Aber es sind die Umstände, die Duchess so hart gemacht haben.

VON HIER BIS ZUM ANFANG kann ich nach dem Lesen als ein weiteres Jahreshighlight für mich verbuchen, denn es ist eine dieser Geschichten, die sich tief in die Seele der Leser:innen brennt und die man nie wieder vergessen wird.