Rezension

Interessantes unbekanntes Estland

Die Zeit der Birken
von Christine Kabus

Bewertet mit 3 Sternen

Charlotte absolviert im Jahr 1938 in Estland eine hauswirtschaftliche Ausbildung. Die junge Frau aus gutbürgerlichem, ursprünglich deutschem Haus wird daraufhin zu ihrem Onkel Julius auf die Insel Hiiumaa geschickt, wo sie ihm nach dem Tod seiner Frau zur Hand gehen soll. Charlotte genießt nicht nur die neu gewonnene Freiheit fern des strengen Elternhauses, sondern auch die Zeit mit ihrem estnischen Jugendfreund Lennart, der inzwischen dort arbeitet. Die beiden verlieben sich ineinander, wohlwissend, dass Charlottes Eltern diese „unangemessene“ Verbindung niemals tolerieren würden. Charlotte wird schwanger und die beiden freuen sich sehr auf ihr gemeinsames Kind. Doch bevor die kleine Familie ihr Glück genießen kann bricht der Zweite Weltkrieg an und stürzt das kleine Land ins Chaos.  Vierzig Jahre später verliebt sich Gesine auf einem Gestüt in Schleswig-Holstein in den Pferdetrainer Grigori. Dieser ist russischen Ursprungs und aus seinem Heimatland geflohen. Doch bevor sich die Beziehung der beiden vertiefen kann ist Grigori von einen Tag auf den anderen ohne ein Wort zu sagen spurlos verschwunden. Gesine findet heraus, dass sie Wurzeln in Estland hat und dass sich die Geschichte ihrer und Grigoris Vorfahren zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges überschneiden. Wie hängen die beiden Geschichten zusammen?

Christine Kabus Buch „Die Zeit der Birken“ ist in einem sehr angenehm zu lesenden, flüssigen Schreibstil verfasst. Durch anschauliche Beschreibungen von Landschaft und Gegebenheiten fällt es leicht, in die verschiedenen Zeiten und Länder einzutauchen und sie sich lebhaft vorzustellen. Das Cover ist hübsch und hochwertig, auch wenn ich die abgebildete Szene mit zwei hübsch gekleideten Frauen am offenen Pferdegatter nicht wirklich im Buch wiederfinde und hier lediglich der Kontext passt. Sehr gut gefallen haben mir die Landkarten von Estland und Hiiumaa im vorderen Teil des Buches, da ich so das Land besser kennenlernen und den Weg der handelnden Personen mitverfolgen konnte – das Nachschlagen und Orientieren hat großen Spaß gemacht.

Der Prolog war spannend und interessant, es war weder deutlich, aus wessen Perspektive er geschrieben wurde, noch zu welcher Zeit. Ein vielversprechender Beginn, ab dem es mir dann aber leider zunehmend schwer fiel, tiefer in das Buch hineinzukommen. „Die Zeit der Birken“ ist in zwei Handlungsstränge unterteilt, einen im Deutschland der siebziger Jahre, einen in Estland zur Vorkriegszeit. Beide Erzählstränge weisen Parallelen auf, beide Mütter der Protagonistinnen führen ein strenges Regiment und stellen sich für ihre Töchter eine Zukunft und Ehe vor, die nicht deren Wünschen entsprechen.  Während mir die Geschichte um Charlotte und Lennart etwas zu schnell ging hat sich der von Gesine und Grigori hingegen in die Länge gezogen. Zum Ende hin kam dann alles Schlag auf Schlag, es kamen (etwas zu viele) Zufälle zueinander und die Zusammenführung beider Geschichten wurde verwirrend und leider etwas unglaubwürdig. Die Fülle an Informationen und Familienkonstellationen hat mich etwas überwältigt. Der Schluss hat mich des Weiteren etwas unbefriedigt zurückgelassen, da ich mir hinsichtlich zweier lieb gewonnener Personen noch Aufklärung erhofft hatte, die aber ausblieb.

Toll fand ich, dass die Autorin versucht hat, in die jeweiligen Handlungen historische Ereignisse zu verweben und insbesondere Informationen über politische und gesellschaftliche Gegebenheiten in Estland einzubauen. Es wird deutlich, wie detailliert und ausführlich die Autorin recherchiert hat. Leider sind diese Informationen nur teilweise etwas ungeschickt eingebaut, so dass sich bestimmte Parts wie aus einer Enzyklopädie lesen und dies den Lesefluss der eigentlichen Geschichte unterbricht. Dennoch habe ich viel über Estland und die dort ansässigen „Deutschbalten" sowie die Geschichte dieses beeindruckenden Landes gelernt und bin sehr dankbar dafür.