Rezension

Immer näher zum Abgrund

Shuggie Bain -

Shuggie Bain
von Douglas Stuart

Bewertet mit 5 Sternen

Hier wird eine Familientragödie im Glasgow der 80er Jahre beschrieben, die vor dem Hintergrund der Zechenschließung und der daraus folgenden Massenarbeitslosigkeit und Armut spielt. Unmittelbare Folge der Perspektivlosigkeit dieser Zeit war der Griff zum Alkohol, der die Sorgen und Probleme vernebeln sollte.
Agnes lebt wegen ihres geringen Einkommens zunächst noch mit ihren drei Kindern und ihrem Mann bei ihren Eltern in sehr beengten Umständen. Dadurch ergeben sich ständige Probleme, und die Familie zieht um in eine abgeschiedene Sozialsiedlung, in der Tristesse und Verzweiflung auf der Tagesordnung stehen. Schnell stellt sich heraus, dass ihr Mann die Familie quasi loswerden wollte, denn er lässt sich dort selten blicken, geht eine neue Beziehung ein und zieht sich weitgehend aus dem Familienleben zurück. Nur ab und an lässt er sich blicken, um seine sexuellen Wünsche abzureagieren. Die Restfamilie ist auf sich allein gestellt und lebt von den staatlichen Zuwendungen. Shuggie ist der jüngste Sohn und er liebt seine Mutter abgöttisch, schon bald merkt er, dass seine Mutter dem Alkohol immer mehr verfällt und möchte sie retten. Nun sind die Rollen vertauscht. Ab einem Alter von acht Jahren muss Shuggie sich um seine Mutter kümmern und sie versorgen, was ein Kind in diesem Alter natürlich überfordert. Und es wird immer schlimmer, so schlimm, dass oft kein Geld für einfache Lebensmittel da ist, weil alles in Alkohol investiert wird. Shuggie muss beobachten, dass seine Mutter sich erniedrigt, um die Sucht zu befriedigen. Trotzdem liebt er sie, denn es ist seine Mutter, sonst hat er keinen Freund....auch in der Schule läuft es nicht gut, Mobbing ist an der Tagesordnung, ausgelöst durch die desaströse Familiensituation.
Das Buch hat mich sehr betroffen gemacht, denn die Hoffnungslosigkeit und die Qualen des jungen Shuggie in dieser Situation sind extrem. Man möchte dem Jungen helfen, ihn herausziehen aus dieser Misere, aber das Milieu hält ihn gefangen.
Der Roman ist eine intensive Milieustudie, sehr fein und authentisch ausgearbeitet, so dass man das Elend spürt. Auch wenn man das Buch beiseite legt, beschäftigt es einen in Gedanken weiter. Ebenso wird der Alkoholismus mit einer Vehemenz beschrieben, dass man den drohenden Absturz deutlich wahrnimmt. Der Schreibstil insgesamt ist sehr sprachgewaltig, angelehnt an den Glasgower Arbeiterdialekt. Sicher war es sehr schwer, diesen Slang ins Deutsche zu übertragen, an einigen Stellen scheint mir die Übersetzung etwas daneben zu greifen. Aber ich wusste immer, was ausgedrückt werden sollte. 
Der Autor hat den Booker-Preis  mit Recht bekommen! Der Roman, mit teilweise autobiographischen Geschehnissen, ist herausragend und hinterlässt Spuren. Keine leichte Unterhaltungslektüre, aber von mir eine klare Leseempfehlung!