Rezension

Hervorragende Zeitgeschichte

Ritchie Girl
von Andreas Pflüger

Bewertet mit 5 Sternen

Von Andreas Pflüger kannte ich bisher nur die Krimis um die blinde Ermittlerin Jenny Aaron. Dieses Buch hat mich überrascht und begeistert.
Paula Bloom kehrt nach einer Ausbildung bei der US-Army nach Deutschland zurück, wo sie als Tochter eines wohlhabenden amerikanischen Geschäftsmanns aufgewachsen ist. Nach dem Tod des Vaters geht sie in die USA, studiert und meldet sich im 2. Weltkrieg zur Armee. Es gibt nur wenige Frauen im Camp Ritchie und sie werden vor allem als Sekretärinnen eingesetzt. In Italien und Deutschland arbeitet Paula als Übersetzerin und soll dabei auch feststellen, ob der Gefangene Johann Kupfer wirklich "SIEBEN", ein gefürchteter Spion, ist. Sie baut eine Beziehung zu ihm auf, auch, weil sie hofft, von ihm etwas über das Schicksal ihres verschollenen Freundes Georg zu erfahren. Aber sie muss sich auch den Dämonen der Vergangenheit stellen und stellt erschreckt fest, dass die USA nicht immer gegen die Nazis gekämpft haben und auch ihr Vater in solche geheimen Geschäftsbeziehungen verwickelt war.
Das Buch schildert in Romanform ein Stück Zeitgeschichte direkt nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Dabei bezieht es sich weitestgehend auf Tatsachen und reale Personen. Reinhard Gehlen z.B. stieg - obwohl nachweislich ein hoher Nazifunktionär - zum Chef des Bundesnachrichtendienstes auf. Die Adenauerregierung nahm es dabei nicht so genau, wenn jemand nützlich war. Ähnlich gingen die Besatzungsmächte vor. Nach den Nürnberger Prozessen wurden nur noch wenige Nazis verurteilt, viele bekamen einen Persilschein.
Pflüger schildert diese Zeit vielschichtig, die Zerrissenheit und Armut der Menschen, die Machenschaften hinter den Kulissen, Gewalt und Not. Das geht unter die Haut und hat mir viele Erkenntnisse beschert, die mir fremd waren. Paula und die anderen Figuren sind nahbar und dicht beschrieben. Alle Menschen haben in irgendeiner Weise Schuld auf sich geladen, die "zehn Gerechten" sind nur schwer zu finden. Das Buch erfordert manchmal Geduld und Wissen über die Vergangenheit schadet nicht. Aber es lohnt sich!
Ein sehr eindrückliches Buch, das man nicht vergisst, zumal es auch heute noch immer Bezüge zu der schändlichen Vergangenheit gibt.