Rezension

Herrlich skurril und melancholisch zugleich

Garp und wie er die Welt sah - John Irving

Garp und wie er die Welt sah
von John Irving

Bewertet mit 4.5 Sternen

"Garps Mutter, Jenny Fields, wurde 1942 in Boston festgenommen, weil sie einen Mann im Kino verletzt hatte."

Mit diesem ersten Satz, steht der Tenor von John Irvings skurrilem Familienroman sofort fest. Obwohl Garp der "Held" der Geschichte ist, dreht sich die Handlung doch im Großen und Ganzen um die Frauen, die sein Leben prägen und mitbestimmen - genauso wie um den Versuch dieser Frauen ihr eigenes Leben aus dieser von Männern beherrschten Welt zu befreien.

Während des Zweiten Weltkriegs beschließt Garps Mutter, die als Krankenschwester die Kriegsverletzten behandelt, dass sie ein Kind bekommen möchte - aber ohne einen Ehemann. Deshalb "lässt" sie sich von einem Patienten, der eine schwere Hirnverletzung hat und kurz darauf stirbt, schwängern. Garp wird nach seinem "Vater" benannt: T.S. Garp - Technical Sergeant Garp.

Garp wächst in einem Internat auf, in dem seine Mutter wieder als Krankenschwester arbeitet. Dort trifft Garp auf Helen, die Tochter von seinem Sportlehrer, und verliebt sich in sie. Da die Leseratte Helen aber nur einen Schriftsteller heiraten will, steht Garps Ziel fest. Er geht mit seiner Mutter nach Wien, um dort etwas Lebenserfahrung zu sammeln und schließlich seinen ersten großen Roman zu schreiben. Doch auch Garps Mutter ist in dieser Zeit nicht untätig. Sie schriebt ihre Biografie mit dem provokanten Titel "Eine sexuell Verdächtige" - und so wird Jenny schnell zur Leitfigur einer krass-feministischen Bewegung. Damit kommen auf Garp einige Probleme zu. Er, der so abhängig von den Meinungen der Frauen in seinem Umfeld ist, kann sich mit den Feministinnen nämlich so gar nicht anfreunden. Außerdem schildert Jenny in ihrem Buch der ganzen Welt von der Zeugungsgeschichte Garps. Trotzdem gelingt es Gapr Helen für sich zu gewinnen und gründet mit ihr eine eigene kleine Familie. Aber auch da bleiben die Probleme natürlich nicht lange aus...

Schon bei dieser Zusammenfassung merkt man es schnell: Garp ist definitiv kein Buch, das man mal so eben nebenbei lesen kann und das den Geschmack des "Otto Normallesers" trifft. Dementsprechend habe ich vor dem Lesen auch sehr viele unterschieldiche Meinungen zu diesem Buch gehört. Trotzdem habe ich Garp einen Chance gegeben - und bereue es kein bisschen. Das Buch greift unheimlich viele Themen auf: Feminismus, sexuelle Gewalt, Transsexualität, Literatur und über allem schwebt der allzu menschliche Wunsch nach Sicherheit, Sicherheit für sich und für die Menschen, die man liebt. Sicherheit, die Eltern für ihre Kinder herbei wünschen und für die sie alles tun würden. Gleichzeitig bestimmen sie so das Schicksal ihrer Kinder.  

Mir hat die Geschichte um Garp und seine Familie unheimlich gut gefallen. Man muss sich beim Lesen zwar schon sehr konzentrieren, den Irving nimmt gerne einen Geschichtsbaustein, fängt mit ihm an und schweift dann lange ab, um dann wieder auf diesen Baustein zurückzugreifen. Und vor allem muss man Sarkasmus mögen, der - vor allem am Anfang - sehr präsent ist. Außerdem darf man nicht versuchen, zu viel von Irving selbst in Garp hineinzulesen. Auch wenn es da schon offensichtliche Parallelen gibt, stellt Irving im Nachwort ganz deutlich klar, dass es sich bei Garp eben nicht um ihm selbst handelt. Überhaupt fand ich es super, dass Irving zu der Geschichte selbst noch etwas erzählt, wie er dorthin gekommen ist, was seine Gedanken waren. Aber ich denke es ist hier das gleiche Problem wie bei Garp und seinen Bücher: Die Leser wollen immer nur herausfinden, was von dem Leben des Autors in sein Buch eingeflossen ist. 

Mein Fazit: Herrlich skurril, sarkastisch und gleichzeitig melancholisch! Kein Wunder, dass in den USA nach dem Erscheinen des Buches eine regelrechte "Garpomanie" ausbrach und John Irving spätestens nach diesem - seinem vierten Roman - weltberühmt wurde.