Rezension

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Hände weg von deutschen Fräuleins

Stay away from Gretchen -

Stay away from Gretchen
von Susanne Abel

Bewertet mit 5 Sternen

Jeden Abend schaut die 85jährige Greta Nachrichten. Nicht, weil sie die Weltpolitik interessiert, vielmehr möchte sie ihren Sohn Tom, den Nachrichtensprecher, sehen. Greta lebt seit dem Tod ihres Mannes allein in einer großen Altbauwohnung in Köln-Porz, Tom nur weniger Kilometer entfernt in einem schicken Penthouse in der City. Als vielbeschäftigter Journalist hat er nicht viel Zeit für die Mutter. Deshalb kommt es ihm äußerst ungelegen, als er eines Nachts einen Anruf von der Polizei bekommt: seine Mutter wurde orientierungslos in ihrem Auto 400 Kilometer entfernt von Köln aufgegriffen und ins örtliche Krankenhaus eingeliefert, Diagnose: Demenz.

Tom glaubt zunächst an eine Fehldiagnose, doch dann muss er sich eingestehen, dass seine Mutter ihre Krankheit meisterhaft vor ihm versteckt und überspielt hat. 

In einem zweiten Handlungsstrang erleben wir Greta als kleines Mädchen bis ins Erwachsenenalter. Aufgewachsen in Ostpreußen, musste sie mit ihrer Familie vor den russischen Besatzern fliehen. Ohne Vater, denn der ist an der Front. Was sie auf der Flucht erleben, ist unmenschlich und als Flüchtlinge sind sie nirgendwo willkommen. Ihr Ziel ist Heidelberg, Oma Gustes Heimat. Dort leben sie zunächst mehr schlecht als recht in einem Gartenhäuschen, doch alles ist besser als was sie zuvor ertragen mussten.

In Heidelberg lernt Greta den jungen schwarzen GI Robert Cooper kennen. Zunächst beäugt sie den Besatzer misstrauisch, doch er ist nett zu ihr und hilft ihr eines Tages, als sie von einer Gruppe Jugendlicher überfallen wird. Mit der Zeit entwickelt sich aus der Freundschaft mehr, doch natürlich müssen sie ihre Gefühle füreinander geheim halten, denn bei den Deutschen sind „Amiliebchen“ verhasst. Die Amerikaner haben sogar eine Broschüre für die in Deutschland stationierten Soldaten herausgegeben, „Stay Away from Gretchen“, in der sie die Soldaten vor den mit Syphilis infizierten deutschen Frauen warnen.

Mit fortschreitender Demenz lebt Greta immer mehr in der Vergangenheit. Eines Tages sucht sie in einem Kindergarten nach „Marie“. Tom beginnt die Wohnung seiner Mutter zu durchsuchen und findet das Foto eines dunkelhäutigen Kleinkinds. Er stellt fest, dass er herzlich wenig über die Vergangenheit seiner Mutter weiß und beginnt Nachforschungen anzustellen...

„Stay away from Gretchen“ ist ein äußerst packender Roman, den ich regelrecht verschlungen habe. Man merkt, dass die Autorin mit dem Thema Demenz vertraut ist. Gleichzeitig bringt sie uns ein Stück Zeitgeschichte nahe. Das Buch ist hervorragend recherchiert, die zitierten Reden und Schriftstücke werden durch das angehängte Literaturverzeichnis belegt. Absolute Leseempfehlung!