Rezension

Gut, aber etwas kurz geraten

Rosskur - Jürgen Seibold

Rosskur
von Jürgen Seibold

Bewertet mit 4 Sternen

„Allgäu meets Niedersachsen“ ist auf der Coverrückseite des Buches zu lesen. Das hat mich spontan sehr angesprochen, denn zum einen bin ich Niedersächsin, zum anderen liegt mein liebster Urlaubsort in den Allgäuer Alpen. So war ich besonders interessiert, diese neue Allgäu-Krimi-Reihe kennen zu lernen.
Der Fall baut sich hier sehr interessant auf, da eigentlich zuerst noch kein Fall vorliegt. Pröbstl, den niemand im Dorf ernst nimmt, da er stets sturzbetrunken ist, will gesehen haben, wie ein Mann die Lechbrücke heruntergestoßen wurde. Dies kann keiner überleben. Die Kollegen in Kempten haben den Fall mehr inoffiziell behandelt und schließlich dem neuen Chef untergejubelt mit dem Hintergedanken, dass er sich lächerlich machen wird, da das, was der Pröbstl sagt, ja meist eh nicht stimmt. Doch Hansen, der neue Chef aus Niedersachsen nimmt sich dem Fall an. Allerdings hat er mit Startschwierigkeiten zu kämpfen, da seine neuen Kollegen ganz spontan entweder krank sind oder Überstunden abfeiern, sind nur zwei Beamte anwesend und das sind die, die sonst immer den Innendienst schieben müssen. Doch Hansen geht nicht nur sehr professionell mit der Sache um, nein er zeigt auch ein Stück weit Humor und nimmt weder sich, noch die krankfeiernden Kollegen ernst. Stattdessen vertraut er auf seine beiden Kollegen und bald ist klar, der vermeintliche Mord ist ein echter.
Hansen kommt in diesem Buch als neuer Chef sehr sympathisch daher, da er sich weder von den Fiesigkeiten seiner Mitarbeiter, noch durch die Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen aus der Ruhe bringen lässt. Er geht mit allem sehr professionell um. Sein Verhalten ist beinahe schon zu perfekt, er macht alles so, wie man es machen sollte, aber die meisten Menschen können ihr eigenes Ego nicht zurückstellen, um so zu handeln. Es ist interessant zu erfahren, wie es Hansen gelingt sein Team zu einem richtigen Team zu formen und auch die beiden völlig zu integrieren, die sonst immer den Innendienst machen mussten.
Das Buch hat mir wirklich gut gefallen: Es ist einfach geschrieben und lässt sich gut lesen. Es fließt ausreichend Mundart mit ein, aber auf einem verständlichen Niveau. Der Fall ist gut durchdacht und plausibel, wenn auch nicht so gut gestrickt, dass man als Leser hätte miträtseln können. Durch einen Zufall ist letztlich die Lösung zu Tage gekommen. Dies ist an sich nicht so schlimm, aber die Art und Weise wie das Finale gestrickt war, hat mir nicht so gut gefallen. Im Großteil des Buches begleitet der Leser Hansen bei den Ermittlungen und erlebt alles aus seiner Sicht, nur das Finale nicht. So wie es jetzt ist, hätte es spannend werden können, hätte man zumindest Andeutungen erhalten, was mit Hansen geschehen ist.
Obwohl mir das Buch im Grunde gut gefallen hat, hat es doch ein entscheidendes Manko: Es ist zu kurz. Zwar hat es 380 Seiten, aber in recht großer Schrift. Zudem beginnt jedes Kapitel, das jeweils aus einem Ermittlungstag besteht, auf der rechten Seite, was zu mehreren Leerseiten im Buch führt. An sich ist das nichts Schlimmes, aber für einen Reihenauftakt schon sehr kurz. Alles hätte ausführlicher dargestellt werden können: Hansens Privatleben, das Ermittlungsgeschehen, Charakterbildende Dialoge, Perspektivwechsel zur Gegenseite. Zudem war zwar das anfängliche Boykottieren des neuen Chefs eine witzige Idee, aber dadurch hat man das Team der Kripo Kempten nicht gut kennengelernt und interessante spannungsgeladene Dialoge, bei denen der Konflikt Niedersachen/Allgäu ausgeführt wird und evtl. gar mit Running-Gags gespickt wird, haben nicht stattgefunden. In diesem Zusammenhang hätte man auch gut das Hauptthema des Buches (die Pferdezucht) einbringen können, schließlich hat Niedersachsen nicht umsonst ein Pferd im Wappen, aber Hansen hat ja leider keine Ahnung von Pferden – erneut verschenktes Potential. Stattdessen gab es einen sehr verständnisvollen Chef, der aufgrund vieler Urlaube sich schon recht gut ins Allgäu einleben konnte. Gerade von diesem kulturellen Konflikt, habe ich mir wesentlich mehr versprochen. Vielleicht wird es in der Fortsetzung ja besser.

Fazit: Rosskur ist im Grunde ein gutes Buch. Nur leider ist es etwas kurz geraten und der Konflikt des niedersächsischen Kommissars, der im Allgäu Fuß fassen möchte, wurde leider gar nicht wirklich ausgeführt und somit wurde viel Potential verschenkt. Zudem ist Hansen ein sehr sympathischer und umgänglicher Mensch, der sich seinen Kollegen gegenüber genau richtig verhält. Dies ist zwar auf der einen Seite gut, da man so sieht, wie man sich gut einleben kann, wenn man sich selbst und sein Ego nicht so wichtig nimmt, aber dies hat die Geschichte etwas langweilig gemacht. Nichts desto trotz ist Hansen ein positives Beispiel für einen Kommissar, was ich loben muss. Es gibt auf jeden Fall ausreichend Potential für den nächsten Teil.