Rezension

Glücksgene?

Das größere Glück - Richard Powers

Das größere Glück
von Richard Powers

Bewertet mit 3 Sternen

Eine junge Frau in Chicago, die vor Glück nur so strahlt. Sie lebt völlig ohne Zorn, alle Freunde und Bekannte kreisen nur um sie. Doch sie stammt aus Algerien, einem Hexenkessel aus Gewalt und Gegengewalt, dem sie nur knapp entging. Kennt sie das Geheimnis des Glücks, besitzt sie gar das »Glücks-Gen«? Laboratorien und Fernsehshows reißen sich um sie, ein Karussell, das sich immer schneller dreht, bis sie alles zu verlieren droht. Meisterhaft ist Richard Powers ein großer Roman gelungen über die Frage, was unser Leben bestimmt – die Sterne, die Eltern, oder liegt alles in den Genen? Mit einer zärtlichen Liebesgeschichte sucht er die Antwort: Greift die Zukunft nach uns oder wir nach der Zukunft?

Die Handlung umkreist fünf Personen: Thassa Amzwar, aus Algerien nach Kanada geflohen und inzwischen Studentin in Chicago; Russell Stone, kurzzeitig erfolgreicher Schriftsteller, den seine eigenen Skrupel zu Fall brachten und der inzwischen nur noch als Lektor und Redakteur arbeitet; Candance Weld, Psychologin; Tonia Schiff, erfolgreiche Fernsehmoderatorin; Thomas Kurton, Genforscher und Besitzer eines Pharmaunternehmens.

Russell, der einen Kurs in Kreativem Schreiben leitet, lernt Thassa als Teilnehmerin kennen. Er wundert sich über ihre offene Fröhlichkeit, ihre ständig gute Laune und ihre Anziehungskraft auf andere Menschen. Um hinter ihr Geheimnis zu kommen, kontaktiert er Candande, die psychologische Beraterin seines Instituts. Durch unglückliche Umstände erfährt die Presse von Thassas außergewöhnlichem Wesen; sie wird durch Talk-Shows und Zeitungsinterviews gehetzt, und weil sie allen Leuten gegenüber freundlich gesonnen ist, kann sie nichts ablehnen. Dies kommt dem Pharmakologen Kurton zu Ohren, der sich der Genforschung verschrieben hat, und dessen Traum es ist, Menschen genetisch auf mehr Glück, größere Gesundheit und längeres Leben zu programmieren.

Powers beschäftigt sich in diesem Roman mit brisanten, aktuellen und umstrittenen Themen. Er prangert die schnell aufflammenden und ebenso schnell verglühenden Medienhypes ebenso an wie die Wissenschaftsgläubigkeit, alles sei machbar, und es sei erstrebenswert, immer mehr und noch viel mehr von allem zu bekommen.

Das Buch liest sich sperrig. Vor allem die Erzählperspektive erscheint seltsam: Es gibt einen Ich-Erzähler, der keine Figur der Handlung ist und auktorial über dem Geschehen schwebt. Bis zum Schluss gibt er sich nicht als Person zu erkennen, und es wirkt so, als sei er passagenweise beliebig eingesetzt. Auch das Tempus scheint keinem Gesetz zu unterliegen: Mal Präsens, mal Imperfekt.

Es ist vom Autor offenbar gewollt, dass der Leser den Figuren nicht zu nahe kommt. Von Russell ausgehend geht es nebenbei um das Thema der Fiktionalität in der Literatur und der Wirklichkeit. Vielleicht sollte das Buch der Beweis für das Fiktionale im Non-Fiktionalen sein? Oder umgekehrt?

Auch tat ich mich schwer mit den Begriffen und Zusammenhängen der Genetik und ihren wissenschaftlichen Forschungen. Dass eine Diskussion über das Machbare in der Wissenschaft, vor allem in der Genetik, wichtig ist, und dass die Grenze zwischen der Ausmerzung von Erbkrankheiten und der Beliebigkeit, Menschen nach Maß zu erschaffen, fließend ist, macht das Buch überdeutlich. Doch leider lässt Powers nur eine intellektuelle Auseinandersetzung zu, keine empathische.

So bleibt das Buch ein Roman, mit dem ich eine Woche lang kämpfte, immer versucht, ihn abzubrechen, und dennoch neugierig darauf, wie der Autor das Ende gestaltet.