Rezension

Gier zurück, aber leider nicht so begeisternd

Vergissmeinnicht - Was man bei Licht nicht sehen kann
von Kerstin Gier

Bewertet mit 2.5 Sternen

Kerstin Gier ist zurück! Das ist wirklich eine der schönsten Botschaften dieses Jahres, nachdem es hieß, sie habe eine persönliche Katastrophe zu verarbeiten. Es ist ein schöner Gedanke, dass sie inzwischen wieder im Schreiben Ablenkung und Zuflucht finden kann und mit „Vergissmeinnicht“ haben wir nun das Ergebnis davon vorliegen. Ich habe ihre Jugendreihen allesamt gelesen, aber wenn ich ehrlich bin, ist das für mich verdammt lange schon her und eine gewisse Sorge hat sich deswegen doch eingeschlichen, ob ich wirklich noch die richtige Zielgruppe bin? Aber Gier ist zurück und es stand für mich außer Frage, dass ich bei ihr unbedingt mal wieder eintauchen muss!

Das Beruhigendste für mich am gesamten Leseprozess war sicherlich die Feststellung, dass Gier ihren Schreibstil wie eh und je beibehalten ist. Sie ist nicht braver geworden, sondern ist so frech, selbstreflexiv und schlichtweg humorvoll wie immer. Ich habe an vielen Stellen deswegen herzlich lachen müssen, denn die Sprüche sind stellenweise einfach zum Brüllen. Herrlich! Kommen wir nun zu der neuen Welt, in der „Vergissmeinnicht“ spielt und die mich doch etwas verwirrt zurückgelassen hat und ja irgendwie auch enttäuscht. Denn was der Saum genau ist, was das Interesse ist, wie der Einfluss auf die Erde ist, was genau für Fähigkeiten möglich sind, all das hat sich für mich nicht sinnig erschlossen. Wenn dann stellenweise auch aufgelistet wurde, was für Wesen alle im Saum leben, da habe ich wirklich dein Eindruck erhalten, dass Gier alles zusammengeschmissen hat, was sie jemals gehört hat, um es in diese Geschichte zu packen. Das ist dann insofern enttäuschend, weil ich das Gefühl habe, dass möglichst viel offengehalten werden soll, so dass sich die Geschichte in alle Richtungen entfalten kann. Aber die phantastische Welt ohne irgendwelche Grenzen nimmt mir meine Potenzial, das alles für mich sauber zu begrenzen. Besonders deutlich wurde mir diese kritische Feststellung nach Beendigung des Buchs, weil ich überhaupt keine Ahnung hatte, in welche Richtung die Reihe jetzt wohl noch will und das ist echt schade.

Zu den Figuren kann ich im Grunde nicht meckern, vieles wirkt sich hier natürlich aus, was ich im Abschnitt davor kritisiert habe, weil sie eben Teil der Welt sind, aber im Grunde wird ein wirklich breites Spektrum an Figuren angeboten, bei dem es wie bei Gier üblich ist viele Lieblinge gibt, aber auch viele, die man liebt zu hassen. Quinn und Matilda sind nun die beiden Protagonisten und tatsächlich hat sie es mir mehr angetan, wahrscheinlich weil sie nicht zum Saum gehört, weil sie damit ein ganz normaler Mensch ist, bei dem ich nicht zig Fragezeichen im Kopf habe. Und dennoch geht sie in der Geschichte nicht unter, weil sie eine natürliche Heldin ist. Vieles mag daran liegen, dass sie in Quinn rettungslos verliebt ist und alles für ihn tun würde, aber dennoch muss sie die mutigen Entscheidungen auch erstmal treffen und dann angehen und das macht sie immer auf beachtungswerte Art und Weise. Quinn ist so ein typischer halber Bad-Guy, wie wir ihn bei Gier oft bekommen, aber dennoch mag man ihn irgendwie, gerade die Gespräche mit Lasse sind immer zum Schießen. Aber er ist eben immer die Figur, die in den Saum eintritt, er müsste damit die Figur sein, die mich damit vertraut macht, aber das gelingt leider nicht so wirklich.

Das hat meiner Meinung nach aber auch ganz entscheidend mit dem Erzählstil zu tun. Vielleicht habe ich zu lange kein Gier-Buch gelesen oder sie hat es einfach geändert, aber ich hatte oft das Gefühl, dass die Geschichte zu sehr in der Zeit hin- und hergesprungen ist und dass das Geschehen oft eher in Rückblenden als wirklich im Moment erzählt wird. Sowohl in Quinn als auch in Matildas Perspektive war es ersichtlich, dass das Geschehen in der Gegenwart einsetzte, nur um wieder zurückzuspringen und zu erzählen, was passiert ist. Irritierend war es auch, wenn in Matildas Perspektive Quinn schon wieder aus dem Saum zurückkehrt, dann wechselt die Perspektive und wir erleben erst, was er doch alles so mitbekommen hat. Möglicherweise soll das Spannung erzeugen, aber ich fand es eher irritierend, was sich aber besonders als Effekt erwiesen haben kann, weil ich eben mit der dargestellten Welt nicht so vertraut geworden bin.

Fazit: „Vergissmeinnicht“ hat mich leider nur bedingt überzeugen können. Es war großartig, mal wieder Giers Erzählstil miterleben zu können, weil man bei ihr nie weiß, wann sie die nächste Spitze sitzt. Aber die entworfene Welt war mir zu halbgar, zu viele Fragen, zu wenig Antworten, so dass sich meine Vorstellungskraft schwer getan hat. Zudem gab es Holpersteine in der Erzählweise, so dass ich bei mir leider keine Begeisterung für die restliche Reihe empfinde.