Rezension

Gesamtdeutsche Beziehungsgeschichte

Der Brand -

Der Brand
von Daniela Krien

Bewertet mit 5 Sternen

Nur weil sich Rahels und Peters Urlaubspläne plötzlich zerschlagen, können sie ihrer Freundin Ruth spontan zusagen, sich um deren Haus und Hof in der Uckermark zu kümmern. Ruths Partner Viktor hatte einen Schlaganfall und Ruth wird ihn in die Reha begleiten. Mit dem Hof in der Uckermark, dessen Bewohner in DDR-Zeiten als Staatskünstler ein gutes Auskommen hatten, verbindet Rahel unvergessliche Kindheitserlebnisse. Ruth und Viktor sind im Alter ihrer Mutter und waren ein ruhender Pol für die kleine Ruth zwischen wechselnden Stiefvätern und zahlreichen Umbrüchen. Für Rahel und Peter wird das Versorgen von Garten und Tieren in beschaulicher Umgebung zugleich Gelegenheit sein, ihre alternde Beziehung zu überdenken. Peter wirkt wie erstarrt, seit ein Konflikt an der TU Dresden ihn in die Rolle des ewig gestrigen Ossis gedrängt hatte. Als würde man einen Stein ins Wasser werfen, entsteht in wachsenden Kreisen um das Paar in der Krise knapp und treffend ein  Bild des vereinten Deutschland im Pandemiejahr. Rahel und Peter verkörpern die Nachwende-Generation, die nach der Wiedervereinigung keine Kinder oder höchstens eins bekamen und die heute quasi fassungslos mit der Anspruchshaltung der folgenden Generation konfrontiert sind.

Rahel als Psychologin behandelt eine jammernde Generation mit offensichtlicher Reifungsverzögerung, die behütet aufwuchs und auf nichts verzichten musste. Eine Diagnose, die ihre eigene Tochter Selma wie aus dem Lehrbuch verkörpert und die für Rahel Anlass ist, sich im Kollegenkreis für ihre Tochter zu schämen. Ganz anders Rahels Sohn Simon, der Berufssoldat ist und mit dieser Entscheidung bei Viktor einen schweren Stand hatte. Selma und ihre beiden kleinen Söhne brechen prompt wie eine Naturgewalt ein in die Idylle am See. Selma wirkt fordernd, maßlos in ihren Ansprüchen, als würde sich die Welt allein um ihre Bedürfnisse drehen. Rahel dagegen  muss sich damit auseinandersetzen, ob sie als Kind, das zur Oma gegeben wurde, etwas vermisst hat und ob sie sie sich selbst rückblickend für eine gute Mutter hält. Mit Dramaqueen Selma im Haus könnte man fast aus den Augen verlieren, dass es zunächst um Viktors Krankheit geht und darum, wie ein hilfebedürftiges Paar mit einem riesigen bröckelnden Anwesen zukünftig klarkommen kann. Das Haus auf dem Land, um das sich Rahels Erinnerungen ranken und das Haus als Wegmarke, wo in ihrem Leben beide Paare stehen, spricht mich hier stark an.

In knappem, höchst präzisem Stil porträtiert Daniela Krien ein ostdeutsches Paar in seinem sozialen Umfeld, das zur deutschen Wiedervereinigung gerade erwachsen wurde. Zwei unterschiedliche Generationen aus der Ex-DDR treffen aufeinander, sowie gegensätzliche politische Standpunkte. Auf psychologischer Ebene steht die Versöhnung mit der privaten Biografie und den eigenen Eltern im Mittelpunkt – und dominierend die Frage, wann die dritte, folgende Generation endlich reif genug ist, als Eltern, im Beruf und Staat Verantwortung zu übernehmen.