Rezension

Gender und Identität zur Zeit des amerikanischen Eisenbahnbaus

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
von C. Pam Zhang

Bewertet mit 5 Sternen

Der historische Hintergrund
In den 1860er Jahren wurde die transkontinentale Eisenbahnstrecke durch die USA gebaut und dazu wurden über 20 000 chinesische Arbeiter angeworben.
Der Goldrausch in Kalifornien begann 1848 und erreiche 1849 seinen Höhepunkt.

Inhalt
Als Luca und Sam die verdreckte Hütte in einer Bergarbeitersiedlung verlassen, ist das überschwemmte Tal längst unbewohnbar geworden. Um Ba, ihren toten Vater, im traditionellen Ritus beizusetzen, wie Ma, die Mutter, es Lucy immer wieder eingebläut hatte, brauchen sie zwei Silberdollar und Wasser. Die Kinder sind noch keine 10 Jahre alt, als sie nach ihrer Mutter auch den Vater verlieren. Lucys Pflichtgefühl lässt die beiden ein Pferd stehlen und während eulenspiegelartiger Abenteuer ihre Geschichte erzählen. Als kleine Kinder konnte man beide wegen ihrer Topf-Haarschnitte kaum unterscheiden. Doch weil der Vater sich als zweites Kind dringend einen Sohn wünschte, wurde Sam zum Mann erklärt, der mit dem Vater im Bergwerk  arbeitet. Die Logik der Rollenfestlegung (Mädchen wird im Bergwerk nur 1/8 des Lohns gezahlt), erklärt jedoch nicht den Widerspruch, dass auch die ältere Lucy im Haushalt für die Familie arbeitet - und nicht zum Mann erklärt wird. Sam empfindet der Vater als schutzbedürftig, für Lucy scheint er sich weniger zu interessieren. Wer einmal unter Tage gearbeitet hat, wird den Stempel des Bergmanns lebenslang nicht mehr los, weil sich tief in die Haut eingegrabener Kohlenstaub nicht wieder entfernen lässt.

Die Eltern sprechen mit Lucy und Sam in einer Mischung aus harsch klingendem Pidgin-Chinesisch, wie man es bei der Arbeit aufschnappt, und Englisch. Ein knapper, meist zweisilbiger chinesischer Ausdruck wird gefolgt von längeren englischen Sätzen, die freundlicher und umständlicher wirken als die Zweisilber. Sehr viel später rückt Lucy damit heraus, dass sie die Bedeutung des Chinesischen nicht verstand, sondern nur auf den Tonfall reagierte. Wer sorgfältig auf die Rolle der Sprache in Zhangs erstaunlichem Roman achtet, fragt sich früh, wo die Mutter in lateinischer Schrift Lesen und Schreiben gelernt hat. Das Versprechen von Lehrer Leigh, der begabten Lucy Zusatzunterricht zu geben, entpuppt sich wie viele andere Hoffnungen als Enttäuschung. Als Buchautor will er die Geschichte der offensichtlich gebildeten Mutter und ihrer Kinder schlicht vermarkten. Aus Leighs Verhalten lernt Lucy früh, anderen das zu erzählen, was sie hören  möchten.

Ba hatte den Kindern von seinen Träumen erzählt, von der Küste weiter in den Osten zu ziehen, wo es freundliche Menschen, Sauberkeit, Wasser und verschiedene Jahreszeiten geben soll.  Dass auch Ma, die bei der Geburt des dritten Kindes stirbt, zuvor eisern eigene Ziele verfolgte, wird den Kindern erst viel später deutlich. Glück ist - für Ba - einen Sohn und genug zu essen zu haben; für Ma bedeutet es jedoch auch Heimat und Identität, die ihr Bergwerksstädte und Baustellen nicht bieten können.

Im dritten Teil des Romans erst erzählt Ba seine Geschichte und löst das Rätsel auf, warum er (wie seine Töchter) als Schlitzauge verhöhnt wird, wie er Ma traf und wie die ungewöhnliche Sprache der Eltern entstand. Lucys Exkurs in die Welt der Weißen führt ihr Jahre später vor Augen, dass in der Welt der Landbesitzer und Aufseher für sie nur ein Platz als Dienstmädchen vorgesehen ist.

Natürlich habe ich mich gefragt, ob der Roman ein Glossar der chinesischen Begriffe benötigt. Pas und Mas Baustellen-Chinesisch verstehe ich, finde jedoch nicht, dass eine Übersetzung nötig ist. In den Dialogen kommt es nicht auf die Bedeutung der Wörter an, sondern was  die Tonlage den Kindern vermittelt.
C Pam Zhang hat sich (laut Interview mit ihr) in der amerikanischen, weißgewaschenen Literatur als Leserin nicht finden können und schreibt aus dieser Erfahrung hier amerikanische Geschichte des 19. Jahrhunderts neu. Ihre Heldinnen lernen früh, dass Geschlecht und Identität veränderbar  sind. Aber nicht sie selbst haben darüber zu bestimmen, sondern beides wird ihnen von außen zugeschrieben. Neben Heranwachsen und Identitätssuche der jugendlichen Figuren spielen Zerstörung der Landschaft durch Bergbau und Goldsuche und die Manipulation von Geschichte eine Rolle.

Wer sich für Identität, Muttersprache und Genderthemen interessiert, findet hier einen originellen Plot, der die eigenen Denkfallen entlarvt. lch finde es absolut lohnend, mich mit dem historischen Hintergrund und der Identität der Figuren noch länger zu befassen.