Rezension

Gemeinsam stark

Die Bücherfrauen -

Die Bücherfrauen
von Romalyn Tilghman

Bewertet mit 4 Sternen

 

Das Début der jungen amerikanischen Autorin, die selbst ihre beruflichen Ziele stets der Kulturförderung widmete, ist im S. Fischer Verlag (2021, HC gebunden) erschienen und hat mir aus mehreren Gründen gut gefallen; auch wenn der deutsche Titel "DieBücherfrauen" gegenüber dem Originaltitel (To the Stars through Difficulties) womöglich hinterherhinkt bzw. bei einigen falsche Erwartungen weckte (ich habe den Roman in einer großen Leserunde gemeinsam gelesen).

 

Inhalt

Kansas, 2008: Nach einem Tornado steht in dem kleinen Städtchen Prairie Hall, Kansas, USA kein Stein mehr auf dem anderen: Bis auf die Fassade der ehemaligen Carnegie-Bibliothek, die wundersamerweise stehenblieb...

 

In das Nachbarstädtchen New Hope verschlägt es die drei Hauptprotagonistinnen - aus sehr unterschiedlichen Gründen:

Angelina, deren Liebe zu Büchern von ihrer Großmutter Amanda herrührt, die sich für die Entstehung der Bibliothek in New Hope vor fast 100 Jahren einsetzte, will ihre Dissertation endlich zu Ende schreiben: Seit 10 Jahren bereits sammelt sie Fakten überdie Carnegie-Bibliotheken in Kansas und hofft, durch Amandas Tagebücher neue Primärquellen erschließen zu können.

Traci, die der Großstadt (NYC) und den Bettwanzen in ihrer letzten Unterkunft entfliehen will, hat sich eine Tätigkeit als Gastkünstlerin im Kulturzentrum New Hope erschwindelt und keinen Plan, wie sie die "Quassel-Quilter" oder die "Querulanten" (Problemkids) nach einem Lehrplan unterrichten soll; jedoch eine Menge Energie, Kreativität, Klugheit und Selbstbewusstsein, dass sie alle Hürden irgendwie schaffen kann.

Gayle, die mit ihrer Familie durch den Hurrikan alles verlor; traumatisiert und zunächst bar aller Hoffnung ist, jemals wieder auf die Füße zu kommen. Sie wohnt nach dem Ereignis bei einer Cousine und trifft auf einem Basar auf Traci, die sie zu einem Event ins Kulturzentrum einlädt (dies nicht ohne Hintergedanken, da es jede Menge fleißiger Frauenhände und Ideen benötigt, um die Erhaltung des Kulturzentrums - der einstigen Bibliothek - finanziell zu gewährleisten. Obwohl Gayle wie alle Kansanianer eher von dickschädeligem Charakter ist und die beiden Gemeinden eher rivalisierten in der Vergangenheit, lässt sich Gayle mit einer Freundin darauf ein, zu einem Treffen der Quassel-Quilter zu kommen.

 

Die Themen dieses lesenswerten Romans sind sehr vielfältig:

Der Romaninhalt kreist um die Entstehungsgeschichte der Carnegie-Bibliotheken in den USA, die mich neugierig machte auf den Gründer und Investor Andrew Carnegie (1835 - 1919), da ich bisher nur die Carnegie-Hall in London kannte. Im Kern ist auch zu lesen von der Aufbewahrung und den Ausleihmodalitäten der Bücher während der letzten 100 Jahre, die in Kansas nicht so viel anders war als hierzulande, wie ich schmunzelnd feststellte (ich leihe seit meiner Kindheit gerne Bücher aus und liebe Bibliotheken). Es geht auch um Familiengeheimnisse und den Lebensweg drei sehr unterschiedlicher, aber auch starker Frauen; um Freundschaft und Solidarität, (neuen) Lebensmut und Selbstbewusstsein.

 

Die Autorin versteht es meiner Meinung nach sehr gut, die Schicksale der drei so unterschiedlichen Frauen wie Angelina, Traci und Gayle sowie der weiteren Frauen,die immer mehr Zeit und Engagement in das Projekt "Kulturzentrum und sein Überleben" hineinstecken, sehr unterhaltsam zu schildern: Alle drei befinden sich an einem Scheideweg in ihrem Leben, an dem ein Neuanfang angezeigt ist. Dieser kann aber viel eher aus einer gemeinsamen Anstrengung, einer gewissen Bündelung der Kräfte, aus Solidarität und Gemeinsinn entstehen! So geht es auch um diese Entfaltung der jeweiligen Kräfte, die Angelina, Traci und Gayle besitzen: Mut, Willenskraft und Ausdauer. Genau diese Eigenschaften waren jenen Siedlerfrauen Anfang des 20. Jahrhunderts ebenfalls zu eigen, die "Dürreperioden, Staubstürmen und Heuschreckenplagen" trotzten und dennoch die Anfänge der Leihbücherei in New Hope besiegelten. Der Roman gibt viele Einblicke in die Kultur dieses Bundesstaates und das "Irgendwo im Nirgendwo" wird einem richtig sympathisch.

 

Ebenso wie seine streitbaren Frauen. Besonders ist mir Traci ans Herz gewachsen, da sie ein besonderes Schicksal mitbrachte und sich als empathisch, kreativ und umsichtig verhielt; auch wenn sie keinen Plan von einem "Lehrplan" hatte und sicher viele Ängste ausstand, dass ihr Flunkern auffallen könnte, meisterte sie ihre Aufgaben mit Bravour!

Letztlich bringt sie Gayle soweit, dass diese sich wieder vorstellen kann, ein Haus zu bauen, "das neue Schatten wirft". Angelina erkennt, dass ihre Dissertation vielleicht doch nicht das Lebensglück de facto sein wird: Zu sehr klaffen ihre Vorstellungen unddie ihres jeweiligen Mentors auseinander, bis sie zum Romanende hin eine viel bessere Idee in sich trägt....

 

Ich fand problemlos Zugang zu allen drei Hauptprotagonistinnen und mochte Traci aus genannten Gründen am liebsten. Aber auch Rachel und Elena Morton sind sehr toughe Frauen und absolute SympathieträgerInnen. Etwas geheimnisvoll ist dieverwandtschaftliche Beziehung Angelinas zu dem Ort, zu dem ihre Mutter stets voller Ablehnung meinte, dass sie nie mehr nach Kansas zurückgehen wolle (Angelina wuchs in Pennsylvania auf).

Kansas wurde sehr atmosphärisch beschrieben und auch die amerikanische Vergangenheit kritisch gesehen (etwa die Rede Lincolns und das Ende der Sklaverei in den Südstaaten); oder die Ablehnung der Schriften des Ku-Klux-Klans, der nach Meinung von Amanda Sprint, der Großmutter Angelinas, nichts in der Bibliothek zu suchen hatte.

 

"Was Bücher im Gehirn eines Menschen anrichten können, macht uns mehr Angst als die Pocken"

(Amanda Sprint, Kansas, USA, 1910), Zitat S. 317

 

Der Roman ist in zwei Bücher gegliedert; er liest sich flüssig und auch schwarzer Humor, der immer wieder einfließt, hat mir sehr gut gefallen. Das "zweite Buch" ist Amanda gewidmet und die besagten Tagebücher helfen zum Schluss, die vielen Rätsel zu enthüllen.

 

Fazit:

 

Ein interessanter Débutroman über die Entstehungsgeschichte der Carnegie-Bibliotheken in den USA und dem Zusammentreffen von drei sehr unterschiedlichen jungen Frauen, die in New Hope, Kansas, viel voneinander lernen, da sie neuen Lebensmut und neue Wege durch ihre Solidarität und ihren Gemeinschaftssinn finden - und ganz nebenbei das Kulturzentrum, das aus der ehemaligen Carnegie-Bibliothek hervorging, durch ihre kreativen Einfälle und mithilfe vieler weiterer Frauen und Jugendlicher zu retten. Von mir gibt es eine Leseempfehlung und verdiente 4*, allerdings auch den Hinweis ans Lektorat und die Übersetzerin, dass hier jeweils "Luft nach oben" zu finden ist! (Was ich allerdings keinesfalls der Autorin anlaste).