Rezension

Geh nie alleine in den Wald, Mädchen

Die Wälder - Melanie Raabe

Die Wälder
von Melanie Raabe

Den Bratapfel-Tee aufgießen, die in leere Glasflaschen gesteckten Kerzen anzünden, die Lichterkette anschalten, den Vorhang vor die klirrende Kälte ziehen – und dann steht mir und einer perfekten Herbstlektüre nichts mehr im Wege. Ob das Buch trotz einiger negativen Rezensionen seinen Anspruch als atmosphärischer Thriller erfüllen kann?

Der Wald als mysteriöser Ort des Schreckens

Schnell wird klar, dass der Wald Geheimnisse und Schrecken birgt. "Geh niemals alleine in den Wald", wird die ein oder andere besorgte Mutter mit erhobenem Zeigefinger zu ihren Jüngsten gesagt haben. Sie ist sich der Gefahr des düsteren, verlorenen Orts bewusst. Die Abgeschiedenheit des Spielorts, der Schrecken, den die Hauptfiguren mit dem Wald verbinden, noch nicht abgeschlossene Kriminalfälle und Blutspuren zwischen den Bäumen – all diese Elemente verdichten sich zu einem stimmungsvollen Ganzen, dem man sich nur schwer entziehen kann. 

Melanie Raabe hat einen mitreißenden Schreibstil, der schnell süchtig macht. Es ist ein spannendes Buch für Zwischendurch, da es sich gut "weglesen" lässt und nicht viel Aufmerksamkeit erfordert. Geschickt verwebt sie zwei Zeitebenen ineinander und ergänzt handlungstechnische Entwicklungen durch entsprechende Anekdoten aus der Vergangenheit. 

Freundesclique à la der "Club der Loser"
Die dreiköpfige Clique, die nach dem überraschenden Tod ihres ehemaligen Freundes wieder zu ihrem Heimatort zurückkehrt und endgültig mit dem Schrecken abschließen möchte, erinnert in Stücken dem "Club der Loser" aus Stephen Kings «Es». Sie sind älter, reifer geworden; tragen in ihrem Herzen aber noch dieselbe verbitterte Angst wie vor all den Jahren. 

Die Handlung wird aus zwei verschiedenen Perspektiven wiedergegeben, um den Leser:innen zu jeder Zeit ein vollständiges Bild über die Gefühlswelten der Protagonist:innen zu ermöglichen. Nina bleibt für mich jedoch bis zum letzten Kapitel ein blasser und nur wenig charismatischer Charakter. Auf viele Informationen über Eigen- und Leidenschaften wartet man vergeblich: Diese hätten sie als Figur lebendig und vielschichtig erscheinen lassen. 

Wo bleibt der Nervenkitzel?

Das Problem am vorliegenden Buch: Die Handlung verläuft zu linear. Ich hätte mir gewünscht, dass «Die Wälder» mutiger vorgeht und die schnell vorhersehbaren Pfade verlässt. Aber nein, das Buch hat nur wenige Überraschungen zu bieten; die Suche nach schockierendem Nervenkitzel ist in diesem Thriller vergeblich. 

Das Ende zieht sich stark in die Länge; die letztendliche Wendung bahnt sich schon lange im Voraus an und konnte mich nicht wirklich begeistern. So ist es die gemächlich herankriechende Ungemütlichkeit und Kälte, die von den Wäldern ausgeht und die das Buch kurzweilig machen. Einige Ausbrüche aus gewohnten Umständen hätten die Handlung aber undurchsichtiger, komplexer und anspruchsvoller gemacht. So ist es eine leichte Kost für Zwischendurch, die ich schnell wieder vergessen haben werde. 

 

«Die Wälder» sind ein ungemütlicher, schaurig-atmosphärischer Ort – schade daher, dass die Handlung so stereotyp und vorhersehbar daherkommt.