Rezension

Frauenbiographie I - Die Beobachterin

Das Vorkommnis -

Das Vorkommnis
von Julia Schoch

Mein Blick fällt zunächst auf das Cover des Buches.
Es zeigt ein Frauengesicht mit scheinbar in sich gekehrtem Blick, sowohl umgeben von dunklen düsteren Farben als auch einstechenden Rottönen - vom Halse her.
Das löst in mir eine erste Beunruhigung und zugleich Neugier aus, die mich durch die 72 Kapitel des 191 Seiten umfassenden Buches tragen.
Ich lese ein Romanfragment heraus, ausgelöst von einer Begegnung der Ich-Erzählerin mit einer ihr fremden Frau, die sich als ihre Halbschwester ausgibt.
Es sind sehr viele Gedanken der Protagonistin ineinander verwoben, die um ihren inneren Kosmos kreisen und ihr Leben als Kind und Jugendliche in der DDR, ihre späteren Jahre als Schriftstellerin und Dozentin aufzeigen und ganz konkret einen längeren Aufenthalt mit Mutter und zwei Kindern in Detroit erfassen.
Die Handlungen sind karg und übersichtlich gefasst, es ist vor allem ein gedankenschweres Buch.
Immer wieder hinterfragt sich die Erzählerin zum Schwesternsein, zum Gefüge ihrer Familie und zu den Beziehungen zu ihrem Mann. Es sind vor allem die Frauengestalten, die ihr Reflektieren prägen.
Alle Personen - einschließlich der ihrer Familie - sind distanziert gefasst, Namen werden nicht erwähnt. Vater, Mutter, Kind. Älteres Kind. Schwester.
Das Fehlen der Eigenschaften erschwert mir den emotionalen Zugang zur Biographie dieser Frau, lässt mich andererseits aber viele nachdenkenswerte Sätze ganz für sich und aus dem Kontext heraus bestaunen. Manchmal bin ich fast ein wenig erschrocken, wie gnadenlos ehrlich sich die Ich-Erzählerin zum Mutter- und Frausein äußert und hinterfragt.
Ihre gedanklichen Einschübe finde ich sowohl umklammert als auch kursiv abgesetzt - und so kann ich mich gut an ihre Seite gesellen und wie sie die Beobachterrolle einnehmen.
Ich sehe diese vielen Kapitel als Puzzleteile oder Papierfetzen oder -schnipsel, die ich zusammenfügen und einzeln für sich nebeneinander legen kann.
Dieses Ungewisse - dieses Schwebende zwischen den Zeilen beunruhigt mich zum einen - lässt mich aber auch ein wenig versinken und meine eigene zur Zeit sehr schwierige Welt anders betrachten.
Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich die weiteren beiden Teile der Triologie aufnehmen und verfolgen werde, möchte hier aber eine bedingte Empfehlung aussprechen.
Es ist kein leichter Leseweg, den ich mit dem "Vorkommnis" zurücklege...