Rezension

Fragt die Frauen!

Unsichtbare Frauen - Caroline Criado-Perez

Unsichtbare Frauen
von Caroline Criado-Perez

Bewertet mit 5 Sternen

„Kann Schneeräumen sexistisch sein?“

Was auf den ersten Blick wie ein Witz klingt, passierte tatsächlich in der schwedischen Stadt Karlskoga. Denn dort sollte die Stadtpolitik unter der „Genderbrille“ neu betrachtet werden. Was also kann beim Schneeräumen schon falsch sein, wenn jahrzehntelang zuerst Straßen und erst danach Radwege und Fußwege vom Schnee befreit werden.

Es stellte sich nämlich heraus, dass es meist Frauen sind, die die ungeräumten Verkehrswege benutzen mussten auf ihren vielen Wegen, nicht nur zur Arbeit, sondern auch um Kinder zu bringen, zu holen, Einkäufe zu tätigen, Nachbarschaftshilfe zu leisten…, während sich der Großteil der Männer in deren bequemen 4x4 Fahrzeugen auf den schneefreien Straßen bequem ausschließlich zur Arbeit und wieder nach Hause zu kutschieren.

Dies ist eines der vielen Beispiele,  welches die britische Autorin und Journalistin Caroline Criado-Perez in ihrem Buch „Unsichtbare Frauen“ aufzählt, um Datenlücken aufzuzeigen, wenn Daten nicht geschlechtsspezifisch erhoben und ausgewertet werden.

Das generische Maskulinum wird tatsächlich immer noch vorwiegend maskulin interpretiert denn generisch: „Männlich bis zum Beweis des Gegenteils“. In Führungspositionen – politisch, technisch, wirtschaftlich - sind heute immer noch vorwiegend Männer. Männer die nicht konfrontiert sind mit Ausgrenzung, physischer und/oder sexueller Übergriffe und Gewalt. Die abwiegeln, was sie nicht selbst erlebt haben (können). Es braucht Frauen, die in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, um Frauen sichtbar zu machen!

Es sind vor allem drei Themen, die wieder und wieder in dem Buch genannt werden: Der weibliche Körper, die von Frauen geleistete, unbezahlte „Care“-Arbeit und Gewalt von Männern an Frauen.

Dabei geht es nicht nur um First World Problems, ob eine Frauenhand groß genug ist für ein modernes Smartphone. Oder Spracherkennungssoftware, die nur auf männliche Stimmen anspricht. Und es geht nicht nur um gutsituierte, ausgebildete, ausreichend bezahlte Frauen unserer Wohlstandsgesellschaft, die bei kulturellen Events die Schlange vor dem Damen-WC monieren könnten. Es geht um Frauen weltweit, auch und vor allem aus Drittweltländern, Migrantinnen, die unterprivilegiert, schlecht bezahlt, unsichtbar sind. Der Zugang zu sichern Toiletten für Frauen und Mädchen ist vielleicht für uns selbstverständlich. Ganz anders sieht es beispielsweise in Indien aus, wo sich tausende Frauen in den Slums ein Waschhaus teilen müssen. Oder wenn mexikanische Erntehelferinnen lieber Dehydrierung in Kauf nehmen und keine Flüssigkeit zu sich nehmen, weil sie keine Möglichkeit habe sich während der Arbeit zu erleichtern.

Arbeitsmittel und -kleidung - für Männer konzipiert, wie beispielsweise Overalls oder Schuhe, die nicht an Frauenfüße passen. Es sind nicht die Frauen, die sich an diese Dinge anpassen sollten, sondern die Dinge an Frauen.

Und ist es nicht ein Hohn, dass es in afrikanischen Ländern Fortbildungskurse für Frauen gibt, die in Sprache und Schrift unterrichtet werden, die diese Frauen nie die Möglichkeit hatten zu erlernen.

Die Apple Health App soll ein umfassendes Tool für Gesundheitsdaten sein, doch die Erfassung des Menstruationszyklus fehlt. Crash Test Dummies sind männlich, das „weibliche“ Modell ist schlicht kleiner, und wird nur am Beifahrersitz getestet . Teilnehmerinnen an medizinischen Studien? – Vorwiegend männlich. Medikamente, die aufgrund der hormonellen und sonstigen physischen Gegebenheiten einer Frau bei Frauen wirken könnten, kommen nicht zur Anwendung, weil bei Männern eine erfolgreiche Testung ausblieb. „Na no na net!“, fällt mir dazu nur ein.

Erst langsam spricht es sich herum, dass sich bei einem Herzinfarkt die Symptome bei Mann und Frau unterscheiden. Entsprechende Datenerhebungen und -auswertungen können also nicht nur das Leben von Frauen deutlich erleichtern, sie können auch das Leben von Frauen retten.

Einziger kleiner Kritikpunkt an diesem Buch: mir scheint eine gendergerechte Sprache nicht immer eindeutig und konsequent. Mal Binnen-I, mal *, manches Mal war ich nicht sicher, ob eine männliche Form gewünscht war oder dem tatsächlich dem generischen Maskulinum geopfert wurde. Das mag auch ein Problem der Übersetzung sein, sollte aber gerade bei diesem Buch sehr sensibel geprüft werden.

„Wenn Frauen in der Forschung und Wissensproduktion beteiligt sind, werden Frauen nicht vergessen. Die Leben und Perspektiven von Frauen werden sichtbar. Davon profitieren Frauen auf der ganzen Welt… Es stellt sich heraus, dass wir die Lösung die ganze Zeit vor Augen hatten. „Man“ muss nur die Frauen fragen.“

 

Kommentare

Inflorenzarin kommentierte am 26. Februar 2021 um 01:11

Das Buch habe ich zwar nicht gelesen, aber es erscheint mir schlecht recherchiert zu sein, denn beim Lesen der Rezensionen sind mir Fehler aufgefallen. Da ich im Bereich Marktforschung unterwegs bin, weiß ich zum Beispiel, dass bei der Datenerfassung durchaus nach dem Geschlecht gefragt wird, dies sogar gesetzlich geregelt ist. Bei Produkttests und bei der Entwicklung neuer Produkte werden jeweils 50 % Frauen und 50 % Männer eingeladen. Auch Probanden im Bereich der Medizin werden nach Geschlecht unterschieden. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, da die Meinungs- und Marktforschungsunternehmen weltweit tätig sind. Daher kann ich es kaum nachvollziehen, wie die Autorin zu diesen Ergebnissen kommt. Die Raumtemperatur in Büroräumen ist in der Arbeitsstättenverordnung geregelt: Da Frauen schneller frieren, muss die Temperatur zwischen 20 und 26 Grad liegen. Das wurde bereits in den 1980er Jahren festgelegt.

Auch verstehe ich die Sache mit dem Schneeräumungsdienst nicht. Die Autorin verdreht hier ganz geschickt die Fakten. Es fahren doch nicht nur Autos auf den Straßen, auch Busse, die wiederum von Frauen, Kindern und alten Menschen genutzt werden und LKWs, die die Supermärkte mit Lebensmittel beliefern, und Krankenwagen fahren auch auf den Straßen ... ich denke, die Autorin provoziert hier ganz gewaltig.

Die Sache mit den Dummys: Nicht alle Frauen sind klein und zierlich, im Gegenteil! Darum verstehe ich nicht, worüber sich die Autorin beschwert. Es ist allgemein bekannt, dass die Menschen immer größer werden. Daher muss ein komplett neuer Dummy her!