Rezension

Fesselnde Mörderjagd im Nachkriegs-München

Das doppelte Gesicht
von Heidi Rehn

Bewertet mit 5 Sternen

1945 München. Der Zweite Weltkrieg ist zwar beendet, doch die Stadt gleicht einem Trümmerfeld, deren Bewohner noch keinen Hoffnungsschimmer sehen, Hunger leiden und oftmals kein Dach über dem Kopf haben. Die jüdische Kriegsreporterin Billa Löwenfeld kommt für ein Interview mit dem Kriegsheimkehrer Viktor von Dietlitz aus ihrem New Yorker Exil zurück in ihre alte Heimat, doch erwartet sie bei dem Termin eine böse Überraschung, denn der wohlhabende von Dietlitz liegt erschossen in seiner Wohnung. Der ehemalige Frontsoldat Emil Graf, der in den Dienst der von den Amerikanern neu aufgebauten Münchner Polizei berufen wurde, wird mit den Ermittlungen dieses Mordfalls beauftragt, obwohl ihm die Erfahrung für diese Aufgabe fehlt, und trifft bei der Sichtung des Tatort auf Billa. Zu dem unerklärlichen Mordfall, der weder Raub noch Spuren zutage fördert, kommen schnell weitere dazu, alles gutsituierte Kriegsheimkehrer, deren gemeinsame Verbindung anscheinend mit Billa Löwenfeld zu tun hat...

Heidi Rehn hat sich mit bereits aufgrund akribisch recherchierter historischer Romanen und einer fesselnden Erzählweise eine große Fangemeinde erworben. Nun wagt sie sich mit „Das doppelte Gesicht“ auf das Terrain der historischen Krimiwelt, was ihr mit diesem Debüt wunderbar gelungen ist. Der flüssige, bildhafte und packende Erzählstil lässt den Leser eine Zeitreise ins München der jüngsten Nachkriegszeit antreten, um dort abwechselnd sowohl Billa als auch Emil bei den Ermittlungen zu einigen Mordfällen über die Schulter zu sehen, während man gleichzeitig durch die plastischen Beschreibungen der Autorin die Stimmung der zerbombten Stadt und seiner Bewohner aufsaugt und sich dabei als Teil der Handlung fühlt und regelrecht hautnah mit am Geschehen beteiligt ist. Nicht nur die Trümmerhaufen sowie die verzweifelten Bewohner Münchens tauchen vor dem inneren Auge des Lesers auf, auch die von der Autorin in ihrer Geschichte behandelten Themen lassen den Leser wie in einem Sog das Buch kaum aus der Hand legen. Der Spannungsbogen wurde schon zu Beginn auf ein hohes Niveau angelegt und zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte, um am Schluss in einem großen Knall zu enden und den Leser dabei noch zu überraschen.

Rehns Charaktere zeichnen sich immer wieder durch eine detailreiche und vor allem menschliche Inszenierung aus, die sie glaubwürdig und authentisch wirken lassen. Auch hier ist es der Autorin wieder gelungen, Protagonisten zu erschaffen, denen sich der Leser rasch verbunden fühlt und ihnen gerne auf Schritt und Tritt folgt. Billa ist eine Kämpferin, ihr fehlt es nicht an Mut und Stärke, auch wenn sie insgeheim immer noch unter den Folgen des Naziregimes zu leiden hat. Sie ist impulsiv und wirkt manchmal fast vorlaut, doch ihre Reaktionen sind völlig normal und den Nachwirkungen des Krieges angemessen. Emil wirkt etwas linkisch und unsicher, wurde er doch geradezu in die Rolle des Ermittlers hineingeworfen. Auch er hat mit den Kriegsfolgen und einem persönlichen Schicksal zu kämpfen, dass ihn nicht loslässt. Er will seinen Captain Joe Simon nicht enttäuschen, der große Stücke auf ihn hält und der ihm ein Vorbild ist. Piotr ist ein ehemaliger Zwangsarbeiter, der nicht in seine russische Heimat zurückkehren will, weil ihn dort ein furchtbares Schicksal erwartet.

„Das doppelte Gesicht“ ist ein spannender historischer Kriminalroman, der von der ersten Seite an einen Sog entwickelt, dem sich der Leser nicht entziehen kann. Akribisch recherchiert und mit gewaltigen Bildern weiß diese Geschichte nicht nur zu fesseln, man ist während der Lektüre durchgängig hautnah dabei, um den Fall zu lösen! Absolute Leseempfehlung für einen absoluten Knaller! Auf die nächsten Fälle dieser Reihe darf man gespannt sein!