Rezension

Es liegt nicht an dir, sondern am Patriarchat

Unziemliches Verhalten - Rebecca Solnit

Unziemliches Verhalten
von Rebecca Solnit

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Zimmer für sich allein, ein Schreibtisch und Selbstvertrauen. Rebecca Solnits Weg zur Essayistin, Feministin, Umwelt- und Friedensaktivistin war nicht gerade einfach. Hätte der schwarze Hausmeister in einem schwarzen Viertel San Franciscos nicht geduldet, dass ihre Mutter ihren Mietvertrag  unterzeichnet, hätte sie „jung, unwissend und mittellos“ vermutlich keine Wohnung gefunden. Die Geschichte der Wohnung ist eng verknüpft mit der Gentrifizierung eines Stadtviertels, der Schreibtisch steht indirekt für ein verkrustetes Rollenbild der 60er Jahre, das Frauen Gehorsam befahl, ihnen nahelegte, ihre Wohnung besser erst gar nicht zu verlassen, und falls doch, draußen den Blick züchtig gesenkt zu halten. Die Frage, wie eine Frau unter diesen Bedingungen überhaupt selbstbewusst und schöpferisch agieren kann, wurde konsequenterweise Katalysator für Solnits Dasein als öffentliche Person. Schon als kleines Mädchen, in dessen Umgebung nicht gelesen wurde, beschloss sie, dass sie andere Schuhe haben wollte, keine Mädchenschuhe, und später einmal Bücher schreiben würde, nicht „nur“ lesen. Bücher werden für sie nicht Fluchtorte, sondern „Aufenthaltsorte“.

Das Aufwachsen in den 60ern signalisiert zunächst, dass andere Leute sich abwenden, um nicht handeln zu müssen, wenn Frauen in der Öffentlichkeit diffamiert und angetatscht werden. Romane und Filme zeigen ihr, welch schlimmes Ende darin Frauen nehmen, die sich nicht unterwerfen. Journalismus und Verlagswesen scheinen fest in männlicher Hand zu sein – und im Studium lernt sie, dass es nur eine Art journalistischen Schreibens gibt, die Hemingways. Eine Tonlage, die ihr aus ihrer Familie vertraut war und die sie zunächst nicht infrage stellt. Ihre ersten Verlagsverträge für historische Sachbücher konfrontieren sie mit einem unfähigen Lektor, der ihre Texte verschlimmbessert, und einem Presse-Agenten, der ihr Buch offen boykottiert, indem er schlicht keine Pressearbeit erledigt und sich untätig zurücklehnt. In komprimierter Form berichtet, fällt es selbst heute noch schwer, in Solnits subjektiven Erfahrungen der Geringschätzung kein System zu sehen, kein Old-Boys-Network mit dem Ziel, Frauen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Ohne ihren in der Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung aktiven Bruder, der sie stark prägte, und ohne die Diversität ihrer Stadt hätte sie Männer lebenslang hassen müssen.

Die Rekonstruktion von Vergangenheit wird Solnits Thema, sie schreibt erfolgreich über Menschen, deren Landschaft und die Geschichte der Region. Ihre Arbeit konfrontiert sie mit der Frage, welche Ethnien und Schichten von Umweltzerstörung am stärksten betroffen sind, was an den umkämpften Plätzen eigentlich die Ureinwohner zu sagen haben – und wieder folgerichtig wird Rebecca Solnit  zur Aktivistin für die Rechte Indigener. Im Grunde hat sie stets in einer zweigeteilten Welt gelebt, geteilt in Männer und Frauen, Farbige und Weiße, Ureinwohner und Kolonialmächte, Stadt und Land, hetero versus divers. Solnits Idealwelt dagen, in der sie sich wohlfühlen könnte, wäre eine, in der Menschen sich über das definieren, das sie gemeinsam mit anderen mögen. Diversität ist herausfordernder als Homogenität, könnte ihr Motto sein. Erst im Rückblick fällt der Autorin auf, dass sie zwar weiblich und anfangs mittellos war, dass sie als Weiße jedoch Privilegien genoss, über die farbige Mieter und Arbeitssuchende nicht verfügen. Schließlich berichtet Solnit – zu meiner großen Erheiterung – wie sie zu einer der ersten Entdeckerinnen des Mansplaining wurde, als ihr ein Mann vehement den Inhalt ihres eigenen Buches zu erklären versuchte, ohne zu ahnen, wen er vor sich hat, und vermutlich, ohne sich unterbrechen zu lassen. Ihre Analyse, wie Filme und die Kunstszene generell Frauenbilder prägen, ist hochinteressant. Ebenso interessant wie Solnits Danksagung  im Anhang an ihre zahlreichen Weggefährten.

Rebecca Solnit blickt klug, pointiert und leicht wehmütig auf ein Leben als Autorin und Aktivistin zurück, auf ihren steten Kampf für Frauenrechte, gegen Umweltzerstörung und für den Frieden. Das kleine Mädchen von damals, das in der ersten Klasse schrieb, sie wolle nie heiraten, hat mit Sprache Erstaunliches bewirkt, auch wenn sie lange Zeit die Adjektive nur schwer zurückhalten konnte. Ihr Werk bildet ab, wie sich die Welt seit den 60ern verändert hat. Das Erreichte wird nicht kampflos zu halten sein ...