Rezension

Episoden aus Kamtschatka

Das Verschwinden der Erde
von Julia Phillips

Bewertet mit 3.5 Sternen

Der Roman wird mit einem Zitat als „ein ausgeklügelter und kraftvoller literarischer Thriller“ beworben. Dieses Zitat der Los Angeles Review of Books führt leider schnell in die Irre.

Wer in „Das Verschwinden der Erde“ von Julia Philipps einen Thriller sucht, wird von dem Buch zwangsläufig enttäuscht sein. 

Die Autorin hat hier versucht eine Region zu beschreiben, indem sie verschiedene Episoden von unterschiedlichen Frauen erzählt, die dort leben. Zusammengehalten werden diese kurzen Einblicke durch ein Ereignis, dass alle diese Leben mehr oder weniger tangiert. Gleich zu Beginn wird geschildert, wie zwei Schwestern entführt werden, die Kinder werden daraufhin von der Polizei und über die Medien gesucht. Mit jedem Kapitel entfernt man sich einen Monat weiter von diesem Ereignis und erfährt jeweils etwas über eine Frau dieser Halbinsel, deren Leben in irgendeiner Weise von dem Verschwinden der Mädchen berührt wird. Dabei werden Kluften zwischen den Russen und den Ureinwohnern offenbar, auch die Folgen des Zerfalls der Sowjetunion, das vorherrschende Rollenbild von Frauen und Männern, aber auch Homosexualität und Vorurteile zwischen Russen und Ureinwohnern werden beschrieben. Der Leser erhält auf diese Weise einen kleinen Einblick in die Gesellschaft, die einzelnen Episoden sind wie Schlaglichter, immer nur sehr kurz und enden unvermittelt. Man begleitet die jeweilige Frau ein Stück des Lebensweges, erfährt etwas über ihre Sorgen und Ängste, erfährt was sie über die verschwundenen Mädchen weiß oder darüber denkt, dann verlässt man dieses Leben wieder und erfährt nicht, wie es dort weitergeht. Der Kreis schließt sich nach 12 Monaten und auch weil die letzten beiden Kapitel den verschwundenen Mädchen und ihrer Mutter gelten. 

Am Ende bleiben viele offene Fragen zu den Schicksalen bestehen. Auch zu dem Motiv der Tat erfährt man nichts oder zu den Ansichten der Männer Kamtschatkas. Die Autorin ist eine Amerikanerin, die einige Zeit vor Ort gelebt hat, ob ihre Einblicke und Beschreibungen der Realität entsprechen und die Gesellschaft dort durchdrungen haben, kann der Leser nach der Lektüre nicht beurteilen. Die kulturellen Aspekte wurden immer nur kurz angeschnitten, die einzelnen aneinandergereihten Schicksale waren nicht durchgehend berührend, da nicht alle in die Tiefe gingen. 

Der Erzählstil, Neugier auf die Kultur des Landes und die Frage nach dem Verbleib der Mädchen haben mich hier bei der Stange gehalten. Für die letzten beiden Punkte hatte ich mir eindeutig mehr erhofft, da wurde meiner Meinung nach Potential verschenkt. Von mir gibt es 3,5 Sterne