Rezension

Eine Reportage in Form eines Krimis - brisantes taucht in Italien selten in der Zeitung auf

Tödlicher Staub - Massimo Carlotto, Mama Sabot

Tödlicher Staub
von Massimo Carlotto Mama Sabot

Bewertet mit 4.5 Sternen

Wenn die Presse von wenigen reichen Mogulen kontrolliert wird, kommt der Literatur wieder eine besondere Bedeutung zu. Die der Aufklärung der Gesellschaft.
Das es in Italien mit der medialen Berichterstattung nicht zum Besten steht, wissen wir sicher alle. Auf der diesjährigen Rangliste der Reporter ohne Grenzen rangiert das Land auf Platz 57, ein ganzes Stück hinter seinen EU-Partnerländern.

Jeder von uns kennt ja Herrn B., der einen Großteil der Medien in seinem Portfolio hält. Da findet sich Presse, Funk und Fernsehen, aber eben auch Verlage.

Doch es gibt noch Nischen und das ist gut so. In einer davon befindet sich der kleine Verlag Edizioni E/O, welcher wiederum Massimo Carlotto herausgibt. Wer diesen noch nicht kennt, dem sei kurz folgendes erzählt:

Massimo Carlotto ist heute ein erfolgreicher Krimiautor, doch wurde er dazu natürlich nicht geboren. In den 70er Jahren symphatisierte er mit den extremen Linken und machte sich damit nicht nur Freunde. Er wurde unschuldigerweise des Mordes verurteilt, floh über Jahre hinweg, nur um schließlich doch im Gefängnis zu landen und dort mehrere Jahre abzusitzen, wie gesagt – unschuldig. 1996 wurde er ‘begnadigt’ und widmete sich von da ab dem Schreiben.
Das er nun nach so einer Erfahrung nicht unbedingt Arztromane oder Western schreibt, liegt auf der Hand.

'Tödlicher Staub' hat er zusammen mit der Gruppe Mama Sabot geschrieben, die sich aus neun sardischen Schriftstellern und Journalisten zusammensetzt.

Genau dort spielt das Buch auch: auf der schönen Insel Sardinien. Doch leider ist dort nicht alles so schön, wie es scheint. An der Küste befindet sich ein großes Gelände für militärische Test, das größte in Europa, wie es im Text heißt. Das Gelände wird für vielerlei militärische Tests genutzt, staatlicher und privater Natur – wer genug zahlt, kann das Gelände nutzen.

Unter anderem wird hier auch radioaktive Munition getestet. Das ganze Gelände ist inzwischen von radioaktiven Nanopartikeln verseucht und die Krebsrate in der Region hat sich genauso dramatisch erhöht, wie unter Soldaten die in Irak und Afghanistan gekämpft haben. Doch hier sind die Opfer Bauer und Schäfer, Menschen die womöglich ihre Scholle noch nie verlassen haben.
Die Folgen, oder besser deren Kurierung untersucht die Tierärztin Nina anhand von Schafen, die in der Nähe und auf dem Gelände grasen. Das diese Untersuchungen nicht unbedingt auf Wohlwollen der Verantwortlichen stoßen, hat sie sich so nicht gedacht.Der Mann, der sie im Auge behalten soll, ist Pierre Nazzari, ein Deserteur, der in Kroatien von zwei Carabinieri aufgetrieben wurde und seitdem die Drecksarbeit für diese macht. Die Alternative für ihn wäre Militärericht und so hat er sich für das kleinere Übel entschieden.

Verdeckt dringt Pierre in ihr Haus ein, lässt wichtige Daten für seine Auftraggeber mitgehen und versucht zur gleichen Zeit mit ihr Freundschaft zu schließen. Aus den beiden wird eine Art Paar, doch man wartet förmlich darauf, das endlich herauskommt, was er im Verborgenen treibt. Pierre, der Wolf im Schafspelz.

Doch auch er versucht sich mit den Daten einen Vorteil zu verschaffen, will damit sein Untertauchen, eine neue Identität erkaufen, um endlich wieder frei zu sein. So spielt jeder sein eigenes Spiel und vermeintliche Partner entlarven sich plötzlich als Feinde, wenn es die Umstände erfordern. Hier spielen alle nur vorgeblich in Teams, am Ende steht wieder jeder für sich allein da.
Doch nicht nur die kleinen Fische streiten sich hier um die Krumen; bei einem so lukrativen Unternehmen wie diesem Testgelände, bei dem die Betreiber mehrere Millionen für eine Stunde Nutzung fordern, ist natürlich auch Mafia und Politik involviert.

Auf wenig mehr als 150 Seiten entwirft Massimo Carlotto so ein Bild des Grauens, das normalerweise wohl auf die Titelseiten der großen Zeitungen gehörte, da dort aber lieber die Problemchen der B- und C-Promis beklatscht werden und die Leute das auch viel lieber lesen möchten – Pierre ist da übrigens keine Ausnahme – findet der investigative Journalismus eben in Romanen statt.

Leitartikel, Politthriller, oder einfach nur Krimi – ein schmales Buch, das hinter die Kulissen blickt und es in sich hat, dabei noch unglaublich spannend ist.