Rezension

Eine opulente Familiengeschichte, die mich nur teilweise abholen konnte!

Der Papierpalast
von Miranda Cowley Heller

Bewertet mit 3.5 Sternen

Das traumhafte Cover und der vielversprechende Klappentext haben mich auf das Buch aufmerksam und neugierig gemacht. Ich liebe emotionsvolle Familiengeschichten mit vielschichtigen Charakteren und meine Erwartungshaltung war dementsprechend groß. Zu meinem Bedauern ist der Funke aber erst ab der Mitte des Buches bei mir übergesprungen, als Elle bei ihren ständigen Rückblicken auf ihre Vergangenheit älter und ihre Gefühle reifer wurden und sie traumatische Situationen durchleben musste. Ich habe nicht damit gerechnet, dass so tiefgründige, beklemmende und bedrückende Themen in dem Roman angesprochen werden und auch eine Portion Erotik mit in der Geschichte steckt.

Die Erzählweise von Miranda Cowley Heller ist leicht und sehr angenehm zu lesen und steckt voller sehr detailreicher Beschreibungen von Landschaften, Kulissen, Gefühlen und Gedanken. Für mich waren diese Schilderungen zwischendurch schonmal zu ausschweifend und haben gerade am Anfang die Geschichte etwas zu langatmig gemacht. Während ihres jährlichen Sommerurlaubs im „Papierpalast“, dem eigenen Feriendomizil in Back Woods in der Nähe von Cape Code, steht die 50-jährige Elle Bishop unerwartet Jonas, ihrer nie vergessenen Liebe, gegenüber und alle ihre vergrabenen Gefühle kommen wieder hoch. Eigentlich führt sie ein glückliches Familienleben mit ihrem Ehemann Peter und drei Kindern, doch Jonas geht ihr nicht mehr aus dem Kopf und ihre Körper reagieren aufeinander. Meine Neugierde darauf, wie sie mit dieser verzwickten Situation umgehen und welchen Einfluss ihre Vergangenheit darauf haben wird, hat mich beim Lesen vorangetrieben und bis zum Ende war ich mir nicht sicher, welchen Entschluss sie für ihr zukünftiges Leben trifft. Elles Erzählung in der Ich-Form unterstreicht ihre innerliche Zerrissenheit, wie kompliziert und widersprüchlich Gefühle sein können, das Verbotenes seinen eigenen Reiz hat, Versuchungen groß sein können und wie Schuldgefühle einen sein Leben lang begleiten. Die sehr kurzen und sich schnell abwechselnden Kapitel in der Gegenwart und die Rückblicke auf ihre nicht immer einfache Kindheit in der Vergangenheit waren mir auch etwas zu viel des Guten. Irgendwie ist mir zwischendurch dabei schonmal die Nähe zu den Charakteren verloren gegangen und ich habe etwas distanzierter auf ihre Emotionen und die Ereignisse geblickt. Richtig sympathisch waren mir in der Geschichte nur Elles Ehemann Peter, der charmant, witzig, fürsorglich und liebevoll rüberkam und Elles Schwester Anne, die mir mit ihrer kämpferischen, selbstbewussten und mitunter herausfordernden Art sehr gut gefallen haben. Richtig getriggert wurde ich von Elles Stiefbruder Conrad, der mich mit seinem schockierenden Verhalten entsetzt hat und über die Lebenseinstellung und die Kindererziehung von Elles Mutter Wallace habe ich ganz oft nur den Kopf geschüttelt.

Mein Fazit:

„Der Papierpalast“ war ein Roman, der mich nachdenklich zurückgelassen hat. Der vermeintlich gefühlvolle leichte Sommerroman entpuppte sich als ein Aufarbeiten der eigenen Kindheit, Jugend, des Frauseins und der Familie und hat bei mir die Frage aufkommen lassen, wie sich das Leben einiger Charaktere entwickelt hätte, wenn sie damals entschlossener, mutiger, verantwortungsbewusster und ehrlicher miteinander umgegangen wären. Von mir erhält das Buch eine 3,5 Sternebewertung!