Rezension

Ein literarisches Denkmal als Mahnmal einer toxischen Beziehung

Das Archiv der Träume -

Das Archiv der Träume
von Carmen Maria Machado

Bewertet mit 4.5 Sternen

Mittels ihres autobiografischen Romans «Das Archiv der Träume» verarbeitet Carmen Maria Machado poetisch und unglaublich intelligent die toxische Beziehung zu einer Frau, die ihr das letzte Fünkchen Selbstvertrauen und Selbstachtung genommen hat. Dabei entsteht kein zusammenhängender Roman, sondern eindringliche, erschütternde und nach Aufarbeitung schreiende Momentaufnahmen.

Im Mittelpunkt dieses faszinierenden Textes steht das große „Warum?“. Wie konnte es geschehen, dass sie – eine kluge, eigentlich selbstbewusste und selbstbestimmte Frau – in eine solche Abhängigkeit zu einer aggressiven und ebenso manipulativen Frau geraten konnte? Und warum konnte sie sich nicht aus dieser zerstörerischen Beziehung befreien? Selbst als diese demütigende Situation beendet wurde, gelang es der Protagonistin zunächst nicht, ihr altes Selbstwertgefühl zurückzuerlangen. Vielmehr materte sie sich mit Schuldgefühlen und Selbstzweifeln. Erst der Prozess des Schreibens – der toxischen Beziehung ein literarisches Denkmal zu setzen-, vermochte die Traumabewältigung zu leisten. Denn ihre gebrochene Seele traut ihren eigenen Erinnerungen nicht. Durch das Verschriftlichen wird die Erinnerung greifbar. Dazu benötigt es rationaler Argumente und Sachlichkeit und dies erklärt ihre ganz eigene Art zu schreiben.

Deshalb besteht der Roman aus fragmentarischen Kapiteln, die wie ein Kaleidoskop das Leben und das Umfeld der Protagonistin durchleuchten, mal emotional, dann wieder künstlerisch oder wissenschaftlich, ganz häufig einfach sachlich. So werden biographische Erlebnisse mit wissenschaftlichen Diskursen und intertextuellen Bezügen in einer Flut von Metaphern verwoben. Jedes Kapitel ist mit einer einzigartigen Überschrift versehen, die zumeist den Fokus und die Richtung ankündigt, und weist einen jeweils von den anderen Kapiteln unabhängigen Stil auf. Hier zieht die Autorin das gesamte Register der Techniken des modernen Romans. Das Ergebnis ist ein authentisch und ehrlich erzählter Text, in dem ihre Geschichte (und Antworten auf ihre Ausgangsfrage) gekonnt in größere Diskurse zur Queerness und häuslicher Gewalt eingebunden werden. Sie beschreibt darin sehr detailliert, wie sie eine Beziehung geführt hat, die ihr anfangs gut tat und die später zu ihrer persönlichen Hölle wurde. 

Die ständige Hervorhebung der gleichgeschlechtlichen Beziehung ist meines Achtens nicht notwendig und mein einziger Kritikpunkt. Denn egal in welcher Beziehung häusliche Gewalt angewendet wird, greifen dieselben Mechanismen.
Dennoch bin ich begeistert von Sprache und Form dieses Erzähltextes, der mich im Konstrukt an Patrick Modiano erinnert und in dem sogar mit dem Leser und den Erzählperspektiven gespielt wird. Gerade dieser fragmentarische Stil lässt den Leser in viele Richtungen denken. Der Text wird beim Lesen aktiv verarbeitet. Diese Technik ist sicherlich nicht neu, aber für die „Message“, die die Autorin vermitteln möchte, geradezu ideal. Zudem zeugt sie von enormer literarischer Qualität und macht für mich dieses Buch so spannend!