Rezension

Ein Hauch Melancholie

Die langen Abende - Elizabeth Strout

Die langen Abende
von Elizabeth Strout

Bewertet mit 5 Sternen

Crosby ist eine (fiktive) Kleinstadt an der amerikanischen Ostküste und die Heimat von Olive Kitteridge, der pensionierten Lehrerin, die wir bereits aus „Mit Blick aufs Meer“ kennen. Und nun ist sie zurück, schlecht gelaunt wie eh und je und unvermindert scharfzüngig. Eine Frau, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube macht und nichts auf die Meinung ihrer Mitmenschen gibt. Sie ist zwar älter geworden, oft einsam, aber deshalb nicht unbedingt sanftmütiger. Schonungslos ehrlich, auch dann, wenn es um die eigenen Familienangehörigen geht. Sich verbiegen, damit sie gemocht wird? Keine Option. Und dennoch - unter dem harten Panzer steckt jede Menge Mitgefühl und Einfühlungsvermögen, was mit Sicherheit damit zusammenhängt, dass sich Olive langsam aber sicher der eigenen Sterblichkeit bewusst wird.

Wieder einmal ist Olive Dreh- und Angelpunkt, das verbindende Element in den vielen kleinen Geschichten aus Crosby, die Elizabeth Strout in „Die langen Abende" erzählt. In diesen leicht melancholischen „Short Cuts“ bildet sie das gesamte Spektrum des Lebens ab. Von der Geburt bis zum Tod. Vom Suchen und Finden und Verlieren. Von unbändigen Glücksgefühlen und tiefer Trauer. Von der Einsamkeit und der Zweisamkeit. Von der Liebe am Ende des Weges.

Und diese Beschreibungen haben es in sich, schauen unter die Oberfläche, sind unglaublich intensiv. Authentisch und voller Herzenswärme für ihre Figuren, die man trotz - oder eher wegen - ihrer Macken, sofort ins Herz schließt. Dabei wird Strout nie ausufernd, sondern charakterisiert äußerst sparsam und genau deshalb auf den Punkt, sehr präzise und eindringlich. Und der Leser freut sich an der sprachlichen Virtuosität sowohl der Autorin als auch der Übersetzerin (Sabine Roth). Nachdrückliche Leseempfehlung!

Und wer die Miniserie mit Frances McDormand in der Rolle der Olive Kitteridge noch nicht gesehen hat, unbedingt nachholen.