Rezension

Ein durchgeknalltes Buch

Ich und Earl und das sterbende Mädchen - Jesse Andrews

Ich und Earl und das sterbende Mädchen
von Jesse Andrews

Spätestens seit John Greens „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ sind aufwühlenden Geschichten über schreckliche Schicksale von Menschen im Jugendbuch Genre sehr stark vertreten und erfreuen sich besonderer Beliebtheit. Oft kann man diese kaum voneinander unterscheiden, denn sie fangen den Leser mit sich ähnelnde Themen und einer besonderen Stimmung ein. Wenn man jedoch nach einem etwas anderen Buch sucht, wird es schon etwas schwieriger. Als ich die ersten Zeilen von „Ich und Earl und das sterbende Mädchen“ von Jesse Andrews las, wurde mir sehr schnell klar, dass dieses Buch viele Leser überraschen wird. Der siebzehnjährige Greg S. Gaines macht dem Leser sofort klar, dass dieses Buch völlig anders ist und lässt ihn ungefiltert an seinen Gedanken teilhaben.

„Vielleicht seid ihr schon von selber daraufgekommen, dass es von einem Mädchen handelt, das Krebs hatte. Darum denkt ihr möglicherweise: „Wahnsinn! Das wird eine kluge und einfühlsame Geschichte über die Liebe und den Tod und das Erwachsenwerden. Wahrscheinlich werde ich von der ersten bis zur letzten Seite buchstäblich durchheulen. Ich kann`s kaum noch erwarten.“ Falls das eine korrekte Wiedergabe eurer Gedanken ist, solltet ihr das Buch am besten gleich in die nächste Tonne treten und dann so schnell wie möglich wegrennen.“ Seite 8

Gregs einziger Wunsch ist es, das Abschlussjahr hinter sich zu bringen, seine soziale Unauffälligkeit zu erhalten und Filme mit seinem Freund Earl zu drehen. Seine Pläne, niemanden an sich heranzulassen, werden jäh von seiner Sandkastenfreundin Rachel zunichte gemacht, als diese an Leukämie erkrankt. Diese plötzliche Unordnung in seinem Leben endet damit, dass er dieses „unterbelichtete" Buch verfasst. Es dient ihm als Möglichkeit über alle ihm wichtigen Dinge aus seinem Leben zu berichten und sich dabei nicht zurückhalten muss. Hier darf Greg sein wie er ist: Eine siebzehnjährige Quasselstrippe mit permanenter Schwarzsicht und Talent, sich selbst und seine Fähigkeiten herunterzumachen. Er macht es dem Leser nicht leicht, ihn zu verstehen, aber eigentlich ist das auch nicht sein Ziel. Jedenfalls nicht mit diesem Buch.

Nachdem ich auf den ersten Seiten ein paar famose neue Schimpfwörter und die Bedeutung von Fremdschämen gelernt hatte, fand ich schnell den Zugang zu Gregs leicht verrückter Welt. Es war wie eine kleine Wanderung durch die Hirnwindungen eines sehr lebhaften und emotional verwirrten Teenagers. Gregs Gedanken –wirklich alle Gedanken -werden durch eine unterhaltsame Erzählweise sehr anschaulich dargestellt und komplett vor dem Leser ausgebreitet. Ihm ist es egal, ob sich jemand daran stören könnte und auch hier macht er deutlich, dass man ihm nicht folgen muss und das Buch gerne in den Müll werfen darf.
Der Stil, in dem Greg seine Gedanken mitteilt, war für mich sehr unterhaltsam. Durch die direkte Anrede baut sich zwischen dem Leser und der Hauptfigur schnell eine Beziehung auf. Ob man will oder nicht.

„Ich fasse es nicht, dass ihr immer noch dabei seid, das hier zu lesen. Am besten, ihr haut euch gleich mal selber ein paar rein, nur um die unsäglich bescheuerte Erfahrung, die dieses Buch darstellt, vollkommen zu machen.“ Seite 90

Zum Teil übernimmt er, wie bei seinen selbstgemachten Filmen, die Regie und lässt sich und seine Mitmenschen in filmähnlichen Szenen agieren. Auch an der Schriftart tobt Greg sich richtig aus und nutzt alle ihm zur Verfügung stehende Mittel, um seine Worte und Sätze besonders zu betonen. Und wenn er keine Lust mehr hat Sätze zu verfassen, schreibt er nur noch in knappen Stichpunkten.

„Ich und Earl und das sterbende Mädchen“ von Jesse Andrews hat mich ein wenig ratlos zurückgelassen. Obwohl mir Gregs Art sich auszudrücken nicht immer gefallen hat und die Handlung etwas bizarr war, konnte ich viele Momente mit ihm genießen. Diese Geschichte lebt von der Hauptfigur Greg, dessen verschrobenen sarkastischen Art und einem liebenswerten Humor. Alle anderen Themen und Figuren nehmen nur eine kleine Nebenrolle ein. Und das war für mich der kleine aber feine Unterschied zu der breiten Masse an Büchern dieses Genres, die ihren Schwerpunkt deutlich auf ein dramatisches Schicksal setzen und mit vielen philosophischen Weisheiten aufwarten.