Rezension

Eher das Psychogramm einer Gruppe als ein spannender Thriller.

Neuschnee - Lucy Foley

Neuschnee
von Lucy Foley

Bewertet mit 3 Sternen

Eingeschneit

Der Plot klingt interessant: Eine Gruppe von neun Freund/innen will Silvester auf einer abgelegenen Lodge in den schottischen Highlands verbringen. Doch schon bald wird klar, dass es unter der freundschaftlichen Oberfläche brodelt. Als dann der Winter Einzug hält und die Gruppe aufgrund des Schnees von der Außenwelt abgeschnitten ist, wird die Lage brenzlig. Schließlich verschwindet ein Gruppenmitglied spurlos und die Lage spitzt sich zu.

Erschienen ist der 430-seitige Thriller „Neuschnee“ von Lucy Foley im Dezember 2019 bei Penguin.

Angepriesen wird dieser Thriller als „perfekt“, ich jedoch kann diese Meinung nicht unterstützen. Es stimmt, von Anfang liegt dem Roman eine gewisse Grundspannung zugrunde, jedoch bezieht sich diese eher auf die Gruppendynamik der Clique als auf die Handlung an sich. Auch der Klappentext irritiert, da hier von einem Serienmörder die Rede ist, der allerdings für die Handlung an sich nicht von Bedeutung ist. Die Atmosphäre des Eingeschneitseins und der damit verbundenen Gefahr bzw. des Unbehagens kommt beim Lesen leider nur unzureichend zum Ausdruck. Erst im letzten Viertel nimmt die Story an Rasanz zu und kann durchaus überraschen, jedoch wirkt das Ende leider etwas überladen, da Handlungsstränge ins Zentrum gestellt werden, die vormals keine Rolle spielten. Darüber, wer letztendlich der/die Verschwundene bzw. das Mordopfer ist, werden Leserinnen und Leser lange im Unklaren gelassen; dieses ist einer der wenigen spannungsreichen Schachzüge der Autorin.

Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt: Zum einen ist da das Jetzt, der 2. Januar, zum anderen wird die Geschichte vom Beginn der Reise her, also dem Tag vor Silvester, aufgerollt. So setzt sich das Bild nach und nach zusammen. Die Erzählperspektive wechselt dabei stetig: Im Zentrum stehen die Ich-Erzähler, die zum großen Teil gedankliche Reisen in die Vergangenheit, d.h. in die Studienzeit der Charaktere, unternehmen sowie das aktuelle Geschehen analysieren. Zu Beginn jedes Abschnitts wird angegeben, um wessen Perspektive es sich handelt. Lediglich Dougs Kapitel sind in der dritten Person geschildert. Trotz des immerwährenden Perspektivwechsels ist es leicht, die Sichtweisen einander zuzuordnen.

Mit den Charakteren konnte ich persönlich nicht viel anfangen, da sie alle auf mich doch sehr unreif, kindisch wirkten. Wenn man bedenkt, dass diese alle Erwachsene von Anfang/Mitte Dreißig sind, sind ihr Handeln, ihre Gedanken und ihr Buhlen um Anerkennung ihrer ehemaligen Kommiliton/innen meiner Meinung nach doch sehr schwer nachzuvollziehen. Hier erinnert der Roman eher an einen Jugendroman, in dem nach dem Platz in der Peergroup gesucht wird, als an einen spannenden Thriller für erwachsene Leser/innen. Lediglich Heather, die Managerin dieser Lodge, und mit Abstrichen auch Doug, der Hausmeister, handeln so, wie man es von Erwachsenen erwarten sollte. Zudem hat das Schicksal der beiden mich beim Lesen interessiert.

Sprachlich lässt sich Foleys Thriller flott und flüssig lesen. Allerdings habe ich beim Lesen vermisst, dass die unterschiedlichen Perspektiven auch sprachlich zum Ausdruck kommen.

Insgesamt handelt es sich bei Lucy Foleys „Neuschnee“ m.E. nicht um einen Thriller, sondern eher um eine psychologische Studie, die zwar stellenweise recht interessant zu lesen ist, mich persönlich aber nicht überzeugen konnte, da sie aufgrund des unreifen Verhaltens der Protagonist/innen nur an der Oberfläche kratzt. Außerdem werden durch den Klappentext Assoziationen geweckt, die das Buch nicht erfüllen kann. Ein Roman, den man lesen kann, von dem man sich allerdings nicht zu viel versprechen sollte.