Rezension

Die Tiefe fehlt

Tiefe - Henning Mankell

Tiefe
von Henning Mankell

Bewertet mit 0.5 Sternen

„Tiefe“ ist sowohl der Titel als auch das Thema von Henning Mankells Hörbuch, doch genau diese erreicht seine Geschichte nicht.

„Seine Einsamkeit war wie ein Abgrund und er fürchtete, dass er sich eines Tages hineinstürzen würde. Er hatte berechnet, dass der Abgrund mindestens vierzig Meter tief sein musste und dass er sich mit dem Kopf voran hinunterwerfen musste, um mit Sicherheit tot zu sein.“

Schon im ersten Kapitel seines 2005 erschienenen Hörbuchs macht Henning Mankell auf das zwanghafte Verhaltes seines Protagonisten aufmerksam. Lars Tobiasson-Svartmanns Dasein besteht aus dem Berechnen von Distanzen. Nicht nur in seinem Beruf als Kartograph während des ersten Weltkriegs misst er Abstände aus, auch sein eigenes Leben beurteilt der Schwede nach Entfernungen. Die Beziehung zu seinem verstorbenen alkoholsüchtigen Vater und die Ehe mit seiner ordnungsliebenden Frau Kristina Tacker werden nach Abständen kategorisiert. Sogar seiner Einsamkeit wird eine Strecke zugewiesen. Doch damit dem Hörer das auch wirklich nicht entgeht, wird die Handlung in regelmäßigen Abständen von nachdenklichen Gedankeneinschüben der Hauptperson unterbrochen. Immerzu befindet Lars Tobiasson-Svartmann sich auf der Suche nach einer ganz bestimmten Stelle, einer Tiefe ohne Boden. Nicht zuletzt weist auch der Titel des Hörbuchs „Tiefe“ unmissverständlich auf das Thema hin, das sich nicht nur wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht, sondern sich auch in penetranter Weise dem Hörer aufzudrängen versteht.

Die kalte vom Nebel verhangene Eislandschaft Schwedens wird zur melancholisch anmutenden Kulisse für Lars Tobiasson-Svartmanns Darbietungen. Während eines Auftrags lernt er auf der einsamen Schäre Halsskär Sara Fredrika kennen. Unzufrieden mit seinem geordneten Leben an Land verliebt sich der Kartograph in die junge Frau. Seine häufig genannte, aber nie definierte Sehnsucht scheint im der Gesellschaft Sara Fredrikas gestillt. Lars Tobiasson-Svartmann beginnt ein riskantes Doppelleben. Aus Eifersucht begeht er einen Mord an einen deutschen Soldaten, der in der Hütte auf der Schäre Unterschlupf gefunden hatte. Zeitnah zueinander werden Kristina Tacker und Sara Fredrika schwanger und bekommen beide eine Tochter. Der Vater wählt für die zwei Kinder den gleichen Namen. Er verstrickt sich in ein Netz aus Lügen, das im Laufe der Geschichte immer mehr zusammenzubrechen droht. Die Suche nach einem Ausweg wird von grüblerischen Gedankengängen des Protagonisten begleitet. Doch die nachdenkliche Atmosphäre und die tiefschürfenden Sentenzen können der erhofften Tiefgründigkeit nicht gerecht werden.

Lars Tobiasson-Svartmann steht im Mittelpunkt der Erzählung, doch als Sympathieträger taugt der Protagonist keinesfalls. Das Gefühl der Unnahbarkeit zur Figur wird nicht nur durch ihr fragwürdige Verhalten geschaffen. Auch mit dem emotionslosen Einsatz seiner Stimme verhindert der Leser jegliche Identifikationsmöglichkeit mit dem Kartographen. Seinen sonst ruhigen und melancholischen Tonfall, der mit dem Roman eine harmonische Einhalt zu bilden weiß, unterbricht Leonard Lansink sobald die Hauptperson das Wort ergreift. Roboterhaft reiht er die Worte aneinander, ohne auch nur den Hauch eines Gefühls. Da das Augenmerk auf Lars Tobiasson-Svartmann gelegt wird, bleiben auch die anderen Personen des Romans dem Hörer fremd. Was bleibt, ist ein unsympathischer Mann, dessen Verhalten nicht nur unberechenbar, sondern auch unverständlich ist.

Der Mord an den deutschen Deserteur lässt an Mankells vorherige Kriminalromane denken. Doch in dieser Geschichte erscheint kein Kommissar Wallander, der mit dem Boot hinausfährt, um den Fall aufzuklären. Auch wird hier nicht das Leben eines Mörders beschrieben. Die Beschaffenheit Lars Tobiasson-Svartmanns Psyche bleibt völlig unklar. Das Verbrechen ist weder für die Hauptperson von Bedeutung, noch hat er Auswirkungen auf den weiteren Handlungsverlauf. Er erzeugt lediglich Spannung, die sich mit der melancholischen Stimmung nicht in Einklang bringen lässt.

Offensichtlich wollte Mankell nicht an die Reihe seiner Kriminalromane anknüpfen. Doch genauso wenig ist es ihm gelungen, mit dem Roman „Tiefe“ eine neue Richtung einzuschlagen. Die nachdenklichen Passagen und bildhaften Einschübe können nicht überzeugen. Mankells Metaphorik ist einfallslos und klischeehaft. Statt tief in die menschliche Seele einzudringen, bleibt er an der Oberfläche des Ersichtlichen und schafft eine fragwürdige Geschichte mit einem vorhersehbaren Ende, die den Roman alles andere als tiefgründig erscheinen lässt.