Rezension

Die Ehefrau Jesu in der Hauptrolle - Fiktive Geschichte, beruhend auf profunden Fakten, die mitreißend geschrieben ist und durch das Thema Emanzipation nach wie vor aktuell ist.

Das Buch Ana - Sue Monk Kidd

Das Buch Ana
von Sue Monk Kidd

Bewertet mit 5 Sternen

Ana soll im Alter von vierzehn Jahren mit dem deutlich älteren Witwer Nathaniel verheiratet werden. Sie versucht sich dagegen zu wehren, denn Ana, die lesen und schreiben gelernt hat, möchte wie ihr Vater Schriftgelehrte werden und sich keinesfalls einem Mann unterordnen müssen. Noch vor der Vermählung stirbt Nathaniel plötzlich und Ana ist daraufhin als verwitwete Verlobte gebrandmarkt. Zudem herrschen Gerüchte in Sepphoris, dass Ana sich unzüchtig verhalten hat. Auf dem Marktplatz wird sie sogar tätlich angegriffen, als sie aus Wut auf den Tetrarchen, der sie als Konkubine in seinen Haushalt aufnehmen wollte, ein Elfenbeinblatt stahl. Jesus ben Joseph, für den sie seit einer ersten Begegnung schwärmte, rettet Ana vor der Steinigung und heiratet sie wenig später. Ana verzichtet damit auf den Reichtum ihrer Familie und zieht zusammen mit ihrer liberalen Tante Yaltha, die ihr stets eine Stütze war, zu Jesus' Familie nach Nazareth. Dort lernt Ana, was es bedeutet in Armut zu leben und was körperliche Arbeit ist. Jesus, der seit einer Offenbarung auf der Suche nach Gott als seinen Wegweiser ist, schließt sich dem Prediger Johannes an und lässt Ana allein zurück. Ana verliert sich wieder in ihren Schriftrollen, die sie von zu Hause mitgebracht hatte und träumt selbst davon, eine Stimme zu sein. Als Johannes verhaftet wird, wird Jesus Kopf seiner Bewegung und geht mit seinen Jüngern davon, um die Menschen davon zu überzeugen, dass das Reich Gottes nah ist. Jesus wird schon bald als Messias gefeiert, begibt sich damit jedoch in die Gefahr der Verfolgung durch Herodes, während Ana nach Alexandria fliehen. 

"Das Buch Ana" ist die Stimme Anas, der Gefährtin von Jesus aus Nazareth. Sie war ihrer Zeit weit voraus, hat sich über alle Konventionen hinweg gesetzt und die typische Rolle der Frau abgelehnt. Sie wollte sich nicht darauf reduzieren lassen, treusorgende Ehefrau zu sein und Kinder zu gebären, sondern sich weiterbilden, in der Bibel forschen und die Aufmerksamkeit auf alle darin enthaltene Frauenschicksale lenken. 
Ana ist eine mutige Frau, ein starker Charakter mit einem einnehmenden Wesen, so dass Jesus in der fiktiven Geschichte zu einer Randfigur wird. Auch wenn Jesus nicht oft anwesend ist, da er als Wanderarbeiter für die Familie sorgt, unterstützt er Ana indirekt, indem er ihr vertrauensvoll alle Freiheiten lässt. 

Die Geschichte Anas ist eine fiktive Geschichte, der jedoch profunde historische Recherchen zugrunde liegen. Es geht nicht um den christlichen Glauben und darum Jesus' Wirken oder seine Wunder darzustellen oder die Frage zu klären, ob es sich bei ihm um Gottes Sohn handelt, sondern um Ana und ihre Emanzipationsbestrebungen. Jesus ist schlicht ein einfacher, gottesfürchtiger Mann, der sich mit einem großen Herz für die Armen und Entrechteten einsetzt. 

Das Buch ist mitreißend geschrieben, da die Geschichte, eingewoben in die Fakten, so lebendig dargestellt wird. Ana ist eine authentische Figur, eine Rebellin in einer patriarchalen Gesellschaft, in deren Emotionen man sich hineinfühlen und ihre Sehnsüchte und Ambitionen nachvollziehen kann. Es ist spannend, ihren Weg zu verfolgen, der sie immer neuen Gefahren aussetzt. denen sie sich furchtlos stellt. Sie widersetzt sich allen Regeln und Gepflogenheiten der damaligen Zeit, um sich Gehör zu verschaffen. Sie möchte kein totgeschwiegenes Frauenschicksal sein, wie sie sie aus der Bibel kennt, sondern der Nachwelt etwas von sich hinterlassen. 

Der Roman berührt, fesselt und begeistert und ist trotz der Zeit vor 2000 Jahren, in der er handelt, aufgrund der Thematik nach wie vor aktuell. Er löst nicht das Mysterium, ob es die Ehefrau Ana wirklich gegeben hat, erweckt die Figur jedoch so zum Leben, dass ihre Existenz durchaus möglich gewesen ist und nicht abwegig ist, dass sie aufgrund ihrer unerbittlichen emanzipatorischen Haltung aus Geschichtsbüchern herausgeschrieben wurde oder ihr zumindest nicht die von ihr sehnsüchtig erhoffte Stimme gegeben wurde.