Rezension

Der perfekte Kreis

Der perfekte Kreis -

Der perfekte Kreis
von Benjamin Myers

Bewertet mit 5 Sternen

War ich bereits von "Offene See" des schottischen Autors Benjamin Myers sehr begeistert; steht "Der perfekte Kreis" dem vorigen Roman in nichts nach: Hier entführt uns Myers in die Welt der sagenumwobenen Kornkreise in England und zu zwei sehr interessanten jungen Männern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber eines gemeinsam haben: Den Mythos um die Kornkreise zu nähren und nach Schönheit zu streben (dabei jedoch nie die Wahrheit zu offenbaren). So lassen uns die beiden, die eine tiefe Freundschaft verbindet, an ihren Kornkreis-Projekten teilhaben:

 

Südengland im Sommer 1989

 

Redbone und Calvert, jene beiden Freunde, um die es im Roman geht (und um so vieles mehr, dass eine Rezension nicht ausreicht), die sich schon länger kennen, begeben sich wieder im Verlauf des Sommers '89 auf ihre "nächtlichen Missionen", um Großes zu erschaffen, um Kornkreise in die vollreifen (und später dürregeplagten) Felder Südenglands zu arbeiten, die sich immer auf eine Nacht erstreckt.

 

Redbone, ein früherer Punker und als Relikt aus dieser Zeit momentan in seinem VW-Bus lebend, ist oft in Erinnerungen versunken, etwas "versponnen", vom Mond gebannt, geht gemächlichen Schrittes durchs Leben und ersinnt (oftmals in bewusstseinserweitertem Zustand) die unglaublich komplexen, sich steigernden, ideenreichen Muster, die in seinem Kopf entstehen, die er in Plänen entwirft (die später als potentielle Beweismittel stets entsorgt werden) und die er seinem Freund Calvert kurz vor ihrer jeweiligen nächtlichen Mission als Skizze zeigt, die er stets freihändig und ohne Hilfsmittel entwirft. Er lehnt (aus seiner Vergangenheit resultierend) Obrigkeiten stets ab und das Anlegen und Schaffen der Kornkreise ist für ihn ein Akt der Befreiung, gegen die Ordnung zu verstoßen.

 

Calvert ist im Gegensatz zu Redbone eher introvertiert. Versteckt aus eigenen Gründen sein Gesicht stets hinter einer Sonnenbrille und einem Rauschebart und sucht für ihr Vorhaben stets mit militärischer Präzision (er war bei einer Spezialeinheit des SAS und wurde viele Jahre militärisch gedrillt) die geeigneten "Leinwände" (Felder) aus, die möglichst abgelegen platziert sind, so dass mit keinen unvorhergesehenen Störungen von außen zu rechnen ist.

Er lebt in einem winzigen Haus, ist im Winter eher depressiv und teilt die Vorfreude des Freundes auf den Sommer, besonders auf ihre nächtlichen Missionen, in denen sie immer besser werden.

 

Wir erleben nun die beiden in den Nächten, in denen das jeweilige Kornkreisprojekt praktisch umgesetzt wird - vom Alton-Kenneth-Pfad über ein Sonnenpendel, ein Wal und eine Schnecke bis hin zu dem Throstle-Henge-Asteroidencollier und dem opus magnum: Dem Honigwabe-Doppelhelix-Projekt; allen ist jeweils ein Kapitel gewidmet. Amüsiert liest man die Zeitungsberichte am nächsten Tag, die ein Teil des Vergnügens von Redbone und Calvert darstellen und sozusagen ein Teil des Lohns ihrer schweißtreibenden Arbeit. Wobei sie stets darauf achten, keinen Halm zu knicken und so das Korn nicht beschädigen (was ein Farmer sehr zu schätzen weiß).

Eine gewisse Spannung ist bei jedem Projekt vorhanden, da immer die Gefahr derEntdeckung lauert und beide Freunde (einem unverhandelbaren Ehrenkodex folgend) sich dessen immer bewusst sind.

 

"Der nächste Kornkreis ist immer ein Leuchtturm, ein Licht der Hoffnung inder seltsamen Geisterlandschaft ihrer einsamen Existenz". (S. 166)

 

So wird auch die englische Landschaft von Myers sehr wertschätzend beschrieben; bildhaft und poetisch, wie es seine Art ist und sein unverwechselbarer Schreibstil darstellt. Sprachlich ist dieser Roman ein Lesegenuss, der jedoch sehr anspruchsvoll ist und die Konzentration des Lesers erfordert.

 

Die Themen sind vielfältig: Vor allem geht es um Freundschaft zwischen zwei sehr unterschiedlichen Menschen, die es dennoch schaffen, völlig symbiotisch Kornkreise anzulegen, die äußerst komplizierte Muster aufweisen und dennoch ohne viel Worte (aber in weiter Entfernung) zur Perfektion gebracht werden. Es geht um Lebenssinn, Traumata (für Calvert ist die nächtliche Mission, in der man ihn auch mitunter durchaus militärisch erleben kann ;), eine Form der Therapie; darum, etwas Sinnvolles, Magisches zu erschaffen, das die Menschen in den Bann schlägt und zum Überlegen bringt.

 

Myers versteht es auf sehr berührende, sensible Weise, jeden Satz sehr bildhaft und kraftvoll sowie ausdrucksstark auf unsere "Leinwand" des Buches zu projizieren, so dass man immer wieder über das Gelesene nachsinnen und die Poesie und Schönheit des Textes, die den ersonnenen Mustern von Redbone ziemlich gleichkommt, einfach genießen kann.

 

Es gibt auch literarische "Seitenhiebe" auf den Motorsport, die Aristokratie in England, die noch heute eine gewisse Macht ausübt (Grundbesitz).Die detaillierten und wunderschönen Beschreibungen der Natur auf dem Lande bei Nacht, die szenarisch kaum übertroffen werden kann, zeugt von der Liebe des Autors zur Natur. Gegen Ende des Sommers bedauert man das trockene, ausgedörrte England - das symbolisch stehen könnte für die heutige Zeit der Klimakatastrophe mit Dürreperioden und Starkregen, Unwettern, die bereits begonnen hat. Mit Redbone zweifelt man daran, "dass dieser große kreisende, verschmutzte Planet es schafft, die Kolonialisierung derMenschheit zu überstehen" (Zitat S. 61).

 

Man könnte diesen Roman durchaus als denkwürdigen Weck- oder Aufruf dazu verstehen, den Planeten Erde zu schützen, statt ihn weiterhin zu plündern und zu konterminieren. Demut gegenüber der Natur, Achtung und Respekt zu haben - und danach zu handeln! Im weitesten Sinne geht es somit auch um die Zukunft derMenschheit, die ohne diese Achtung vor der Natur, vor der Erde, die uns Nahrung gibt und überhaupt erst leben lässt, ihrem eigenen Untergang geweiht ist. Denn "die Zukunft hat schon begonnen"!

Von mir eine absolute Leseempfehlung und 5* an Redbone's nächtlichem Betrachterhimmel ....