Rezension

Der etwas andere Geisterroman

Phantasmen - Kai Meyer

Phantasmen
von Kai Meyer

Bewertet mit 4.5 Sternen

Überall um uns tat sich etwas, aber die Veränderung ging fast in all dem Gleißen und Glühen unter. Ganz deutlich erkannte ich es nur bei den allernächsten Erscheinungen. Bei dem Mann gerade eben - und nun auch bei Mum und Dad.
Es war keine optische Täuschung des Totenlichts. Erst recht keine Einbildung.
Mum und Dad lächelten.
Alle Geister lächelten.
Und es war das bösartigste Lächeln, das ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte.

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INHALT:
Irgendwann sind sie einfach da: Geister. Se tauchen an den Orten auf, an denen sie gestorben sind und verharren dort; ihre einzige Bewegung ist, sich mit der Sonne zu drehen. Die junge Rain beschließt, mit ihrer Schwester dorthin zu fahren, wo ihre Eltern gestorben sind, und sich von den harmlosen Geistern zu verabschieden. Doch als sie ankommen, verändert sich etwas - denn die Geister lächeln. Und damit geht der Schrecken erst richtig los...

MEINE MEINUNG:
Geister sind kein neues Thema in der Fiktion und schon gar nicht in der Hinsicht, dass sie für Angst bei den Menschen sorgen. Kai Meyer geht das Ganze in "Phantasmen" aber deutlich anders an - denn hier sind es nicht einige wenige Personen, die mit den Toten konfrontiert werden, sondern sie erscheinen überall. Und wirken anfangs auch recht friedlich. Erzählt wird diese Geschichte aus der Ich-Perspektive von Rain, deren taffe und entschlossene Art durch den geradlinigen Schreibstil und die präzisen Beschreibungen unterstrichen wird.

Auch ansonsten ist Rain eine Protagonistin, mit der man sich trotz ihrer anfangs sehr unfreundlich scheinenden Art identifizieren kann - unter anderem aufgrund ihres ausgeprägten Beschützerinstinkts und ihrer innigen Liebe zu ihrer Schwester. Diese ist etwas anders, nimmt wenig Rücksicht auf Gefühle und hält mit ihren Ansichten nicht hinter dem Berg, und grade diese Offenheit macht sie so interessant. Sie ist kein üblicher Charakter und deswegen so besonders. Und Tyler, den die beiden auf ihrer Reise kennenlernen, zeichnet anfangs vor allem seine fast schon manische Suche nach seiner Liebe Flavie aus, aber bald wird klar, dass er ein gutes Herz besitzt. Selbst die Bösewichte sind so gut wie nie nur schwarz-weiß gezeichnet, sondern haben oftmals auch andere Seiten, die einen gut zu beeindrucken wissen. Außer der letztendliche Strippenzieher, der meiner Meinung nach eine deutlichere Ausarbeitung verdient gehabt hätte.

Ansonsten weiß die Story, die hinter dem ganzen Roman steht, einen mitzureißen: Insbesondere zu Anfang, als die Geister sich zu verändern beginnen und Schrecken und Tod über die Welt hinein brechen lassen, läuft einem des Öfteren ein kalter Schauer den Rücken herunter. Die geschaffene neue Umgebung ist nicht nur gut ausgearbeitet, sie wirkt trotz der phantastischen Elemente auch äußerst realistisch. Dabei werden natürlich nicht wenige Fragen aufgeworfen - woher kommen die Geister und was ist ihre Aufgabe? Was bedeutet das Lächeln? Und vor allem, wie sind sie zu stoppen? Die Figuren des Romans werden unfreiwillig in die Suche nach einer Lösung hineingeworfen, und die Schlinge zieht sich immer enger zu.

Die Spannung wird auf diese Weise die gesamte Zeit über sehr hoch gehalten. Jedes Kapitel endet mit einem Cliffhanger, sodass man gar nicht anders kann, als sofort weiterzulesen, und wilde Verfolgungsjagden sowie schockierende Enthüllungen lassen einen kaum zu Atem kommen. Zum Glück wird aufgrund der vielen Ereignisse auch die kleine Liebesgeschichte nicht ausgewalzt, sondern ist eher ein Neben-Strang, der mir so gut gefiel. Zugegeben, nicht jedem wird die letztendliche Auflösung gefallen und auch mir kamen ein paar kleinere Aspekte etwas suspekt vor, aber im Gesamten kann die Lösung für alles durch die Ausarbeitung und die glaubwürdige Umsetzung auf zufriedenstellende Weise überzeugen.

FAZIT:
Kai Meyer hat mit "Phantasmen" den etwas anderen Geister-Roman geschaffen, der in einer apokalyptisch angehauchten Welt spielt und so einige schockierende Geschehnisse für den Leser bereithält. Ein gelungener Einzelband, der sich vom Rest abhebt. 4,5 Punkte von mir.