Rezension

Brüderliebe

Jenseits der Untiefen - Favel Parrett

Jenseits der Untiefen
von Favel Parrett

Bewertet mit 4.5 Sternen

Das Meer ist das alles beherrschende Element an der rauen Südküste Tasmaniens. Es prägt auch das Leben der drei Brüder Joe, Miles und Harry. Ihr Vater ist Abalone-Fischer, nach dem rätselhaften Verschwinden seines Bruders und Geschäftspartners Nick finanziell und nach dem tragischen Unfalltod der Mutter auch emotional am Ende. Er trinkt, kümmert sich kaum, und wenn, dann völlig lieblos um seine Söhne, neigt zu Gewaltausbrüchen und Handgreiflichkeiten. Der älteste Sohn Joe hat schon vor einiger Zeit die Konsequenzen gezogen, lebte beim Großvater und nach dessen Tod allein in seinem Haus. Nun plant er, dem kleinen tasmanischen Fischerort, dessen einzige Alternative zum Fischfang die Fischfabrik darstellt, ganz den Rücken zu kehren. Das selbst gebaute Schiff ist startklar. Dennoch hängt er sehr an seinen jüngeren Brüdern, dem naiven, nach Freude und Liebe gierenden Harry und dem mittleren Miles, der nach Kräften versucht, sich um Harry zu kümmern, ihn vor den Wutanfällen des Vaters zu schützen, diesen bei Laune zu halten. Zugleich muss er nahezu jeden Tag auf dem Fischerboot schwer arbeiten. Viel zu früh wird ihm viel zu viel Verantwortung zugemutet.

Die Autorin schafft es mit einer klaren, schnörkellosen, fast nüchternen Sprache sowohl die raue, aber faszinierende Landschaft als auch die Verwerfungen in der Familie und in den Seelen der drei Brüder zu schildern. Geschickt baut sie eine Spannung auf, indem sie immer wieder Hinweise platziert, dass sowohl der Unfalltod der Mutter, als auch das Verschwinden des Onkels ein Geheimnis umgibt. Auch den Einsiedler George, zu dem Harry eine zaghafte Freundschaft aufbaut, umgibt eine rätselhafte Aura. Die Atmosphäre ist dunkel, düster, man ahnt bald, dass das Ende kaum ein gutes sein kann. Trotzdem habe ich mit fast unerträglicher Spannung selten so auf ein Happy-End gehofft. Aber dass so viele Menschen zuschauen, wie sich Gewalt in Familien aufbaut und entlädt, ohne Einzugreifen ist nicht nur im fernen Tasmanien Realität.

Selten habe ich ein so aufwühlendes, zutiefst trauriges Buch gelesen. Auch wenn zum Schluss der Kitsch ein wenig gestreift wird, hat Favel Parrett dem Leser ein kraftvolles, bewegendes Buch und eine wunderschöne Geschichte über Brüderliebe geschenkt.