Rezension

Bewegend, mit einer Prise Humor

Drüberleben
von Kathrin Weßling

Bewertet mit 5 Sternen

"Drüberleben" ist der Debütroman der deutschen Autorin Kathrin Weßling, der bei ernsthafter Thematik mit sprachlicher Schlagfertigkeit und unerwarteter Lockerheit überrascht und mich damit vollständig überzeugt hat.

Für den ersten Eindruck aber erst einmal ein paar Worte zum Inhalt: Obwohl sie erst Anfang 20 ist, kann Ida bereits auf eine jahrelange Therapie zurückblicken. Sie leidet unter Depressionen, die sie antriebslos machen und sie dazu bringen, sich zu isolieren. Nicht zum ersten Mal hat Ida einen Punkt erreicht, an dem die ambulante Psychotherapie sie nicht mehr weiterbringt und sie entscheidet sich, für einige Wochen in eine Klinik zu gehen. Dort versucht sie einen Weg zu finden, das Monster in ihrem Kopf zu besiegen...

Die Thematik des Buches - Depressionen, Angstzustände, Isolation - ist in der heutigen Zeit wahrscheinlich aktueller als jemals zuvor, da psychische Krankheiten zunehmend stärker akzeptiert und ernstgenommen werden. "Drüberleben" ist für mich zum Beispiel nach "Acht Wochen verrückt" auch nicht das erste Buch, das sich mit einem Klinikaufenthalt dieser Art beschäftigt, entpuppte sich aber dennoch schon auf den ersten Seiten als einzigartig und überaus lesenswert; ein Eindruck, der bei mir vor allem durch den Schreibstil entstand.

Denn auch ohne vorher gelesen zu haben, dass die Autorin sich in der Vergangenheit bereits erfolgreich in Poetry-Slams versucht hatte, konnte ich Parallelen zu dem Stil solcher Veranstaltungen schnell feststellen. Die Sprache in "Drüberleben" ist temporeich, gekennzeichnet durch kurze, abgehackte Sätze und lange Aufzählungen mit wiederkehrenden Satzmustern gleichermaßen. Dadurch liest sich dieser Roman häufig sehr rhythmisch, was bei mir gleichzeitig auch eine gewisse Anspannung und eine sehr greifbare, intensive Atmosphäre erzeugte. Nicht alle Passagen in "Drüberleben" sind sprachlich derart auffällig gestaltet, sondern wechseln mit ruhigeren Abschnitten, die sowohl beim Leser als auch bei der Ich-Erzählerin Ida für Entspannung sorgen.

Überhaupt spiegelt die Sprache die Gefühlslage der Protagonistin sehr gut wieder. Redet sich Ida in Rage, wird auch der Schreibstil temporeicher. Ida selbst ist in meinen Augen auch neben der sprachlichen Gestaltung des Romans ein sehr überzeugender Charakter, der sowohl die bedrückenden Erlebnisse seiner depressiven Vergangenheit glaubwürdig repräsentiert, als auch durch eine wortgewandte Schlagfertigkeit und viel Phantasie besticht. Sie ist nicht immer sympathisch, aber ihre charakterliche Entwicklung ist gut nachvollziehbar. Obwohl sie mit Schwierigkeiten in die Therapie geht, es ihr schwerfällt, sich selbst in der nüchternen Diagnose zu finden und ihre eigenen Empfindungen in Worte zu fassen, um sie vor anderen offenzulegen, sorgt der Charakter der Ida durch Sarkasmus und viel Selbstironie auch für eine angenehme Auflockerung der ansonsten von der ernsthaften Thematik und der emotionalen Gleichgültigkeit der Ich-Erzählerin dominierten Atmosphäre dieses Buches.

Zu einer gewissen Lockerung tragen auch die interessanten Nebencharaktere bei, die facettenreich gestaltet wurden und von teilweise witzreichen, teilweise sehr bewegenden Hintergrundgeschichten begleitet werden. Der Handlungsverlauf bietet zudem einige Überraschungen, sodass diese in drei große Abschnitte ("Fallen", "Liegen", "Steigen") unterteilte Geschichte immer abwechslungsreich bliebt und keinen Längen enthielt.

Fazit: Ein sprachlich herausstechendes Debüt, inhaltlich interessant mit ernster Thematik, aber auch nicht ohne Humor. Sehr lesenswert. 5 Sterne.