Rezension

bewegend aber nicht sehr emotional

Die Überlebenden -

Die Überlebenden
von Alex Schulman

Bewertet mit 4 Sternen

Am weitesten vom Einschlagpunkt entfernt

„Ein Polizeiauto pflügt langsam durch das blaue Grün, die Traktorspur zum Hof hinunter. Da steht das Sommerhaus, einsam auf einer Landzunge, in der nie ganz schwarzen Juninacht.“

Inhalt

Gegenwart: Drei erwachsene Männer, finden einen Brief, den ihre verstorbene Mutter ihnen hinterlassen hat, mit der Bitte darum, ihre Asche nicht einem Grab zu übergeben, sondern sie dorthin zu bringen, wo die Familie früher gemeinsam lebte, zum Sommerhaus am See. Vergangenheit: Drei Kinder/ Halbwüchsige leben in einer dysfunktionalen Familie, beide Eltern sind Alkoholiker und erziehen ihre Söhne zwischen Gewaltausbrüchen und liebevoller Zuwendung, soweit es ihnen eben möglich ist. Das Sommerhaus am See ist Schauplatz und Bühne für alle Ereignisse damals, deren Folgen bis in die heutige Zeit spürbar sind, denn vor zwei Jahrzehnten ging hier ein Riss durch die Welt.

Meinung

Der Debütroman des schwedischen Autors Alex Schulman hat so gute Kritiken bekommen und versprach eine Geschichte, die genau in mein Beuteschema fällt, so dass ich ihn unbedingt lesen wollte. Zum einen, weil ich besonders schwierige Erzählungen mag, die gerne auch melancholisch und nachdenklich stimmen dürfen, zum anderen, weil mich das Schicksal von Kindern in Romanen immer sehr anspricht. Eine bestimmte Erwartungshaltung hatte ich nicht, aber möglicherweise einen speziellen Fokus.

Das Vorwort des Autors hat dabei wahrscheinlich bewirkt, dass ich mich gezielt auf seine Aussage konzentriert habe, dass er sich mit diesem Buch auf Spurensuche in die Vergangenheit begibt, um zu ergründen, an welcher Stelle sich Geschwister so fremd werden, obwohl sie von Kindheit an die gleichen Erfahrungswerte teilen und im selben Umfeld aufwachsen. Ein sehr interessanter Aspekt, der mich ebenfalls schon oft gedanklich beschäftigt hat …

Der Schreibstil des Buches ist eher neutral, manchmal wirklich etwas karg, was mir persönlich auf Grund der Geschichte nicht ganz so gut gefiel, denn hier liegt viel Emotionalität unter der Oberfläche und kommt nicht recht zum Vorschein, weil sehr distanziert erzählt wird. Dadurch konnte ich zu keinem der Charaktere eine enge Beziehung aufbauen, was aber nicht gestört hat, weil ich mich mehr auf die Beziehung der Beteiligten untereinander konzentrieren konnte. Äußerst genau und tragisch werden die Kindheitserlebnisse geschildert, dabei treten immer wieder zwei dominante Aussagen auf: Die Eltern waren auf Grund des Alkoholkonsums nicht in der Lage, sich angemessen um ihre Kinder zu kümmern und die drei Brüder hatten in mancher Situation nur sich selbst, um heil wieder auf dem Geschehen aufzutauchen.

Ein zweiter Erzählstrang wird eingefügt, der sich rückwärtsgerichtet mit den Ereignissen im Jetzt beschäftigt und zeigt, was die Männer nun mit dem letzten Wunsch ihrer Mutter machen werden, wie es überhaupt weiterging, nachdem der älteste Sohn ausgezogen ist und aus dem Dreiergespann ein Glied verschwunden ist.

Dieser Roman ist sehr dicht und intensiv geschrieben, er löst echte Betroffenheit aus, ohne direkt zu schockieren. Die Sachlichkeit des Textes hat mich zwar persönlich nicht ganz erreichen können, wirkt aber dennoch irgendwie authentisch und setzt eine echte Beschäftigung mit den zahlreichen psychischen Verletzungen der einzelnen Charaktere voraus. Besonders die multiperspektiven Sichtweisen, der jeweiligen Söhne konnten mich begeistern, denn jeder nimmt aus vergangenen Situationen etwas anderes mit und verändert irgendwann auch die eigene Erinnerung an ein und dasselbe Erlebnis. Ebenso der Zerfall des Dreiergespanns, sowohl in der Kindheit als auch jetzt im Erwachsenenalter wird deutlich herausgearbeitet, die Geschwisterkonstellation immer wieder aus ganz anderen Blickwinkeln betrachtet, dass ist für dieses Buch sehr bereichernd gewesen.

Fazit

Gerne vergebe ich gute 4 Lesesterne, für einen aufrüttelnden, glaubwürdigen Roman, der dem einzelnen Familienmitglied genügend Raum zugesteht, um dem Leser etwas zu vermitteln, ganz egal, um wen es gerade geht. Auch die Eltern werden nicht nur anklagend behandelt oder gar ausgegrenzt, vielmehr wirkt hier das Familienbild komplex und vielschichtig. Der Ort am See, gewissermaßen in der Einöde, bringt die interfamiliären Befindlichkeiten besonders gut zum Ausdruck und wirkt verstärkend.

Einzig die fehlende Nähe zur Gefühlswelt wenigstens einer Person sorgt hier dafür, dass ich keine volle Punktzahl vergeben kann. Dieses Buch zielt mir persönlich zu sehr auf den Verstand weniger aufs Herz und bei so einer Story hätte ich mir das umgedreht gewünscht.