Rezension

Bevor man vor Wut platzt

Drei Kameradinnen -

Drei Kameradinnen
von Shida Bazyar

Bewertet mit 4 Sternen

Du hast keine Vorurteile gegenüber Minderheiten? Du denkst nicht rassistisch? Dieses Buch wird es dir zeigen!

Hani, Kasih und Saya sind drei junge Frauen Ende 20, die seit ihrer Kindheit miteinander befreundet sind. Durch Studium, Jobs und neue Bekanntenkreise haben sie sich auseinandergelebt und doch hält sie ein unsichtbares Band magisch zusammen. Aus dem Anlass der Hochzeitsfeier einer anderen, längst vergessenen Sandkastenfreundin treffen sie sich gemeinsam, nehmen genüsslich einen Drink ein, schwelgen in Erinnerungen- keine rein schönen, immer gab es Probleme- und bequatschen ihre aktuelle Situation. Sie sind total unterschiedlich und haben sich eigentlich nichts zu sagen- als Leser fragt man sich, warum sie sich überhaupt treffen- , aber:

Sie brauchen einander!!!

Hani, Saya und Kasih können für alle ausgegrenzten, benachteiligten oder diskriminierten Personen einer Minderheit stehen. Ja, in ihnen findet sich früher oder später jede Frau wieder.

Erzählt wird dieser fiktive autobiographische Ausschnitt von Kasih. Kasih schreibt sich ihre Wut von der Seele, nachdem ihre Freundin Saya auf seltsame vorverurteilende Weise in einem Artikel als Täterin eines großen Brandanschlags auf ein Hochhaus beschuldigt wird.

Kasih erzählt ihren Lebensweg mit den gemeinsamen Freundinnen. Sie sind alle drei Migrantinnen. Ihre Familien kamen aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland. Und aus unterschiedlichen Ländern. Da sie immer und überall als "verdächtig" stigmatisiert worden sind, weil sie eben "anders" waren und auffielen, taten sie sich bereits als Kinder in ihrer heruntergekommenen Siedlung zusammen. Sie waren füreinander stark und heldenhaft. So dass sie alle erfolgreich studieren odere zumindest einen guten Job bekommen haben.

Die Erzählerin platzt vor Wut. Und nicht nur wegen der Beschuldigung Sayas. Sie zieht den Leser mit ihrer provokanten, aggressiven und immer wieder entlarvenden Art in den Bann. Du wusstest noch nicht, dass du rassistisch denkst?? IRRTUM! Kasih erklärt es dir. Sie findet immer Alltagssituationen, wo du alles doch nur total selbstverständlich und lieb gemeint hast, dein Interesse zeigen wolltest und dass du auf gar keinen Fall Vorurteile gegen Migranten hast- PUSTEKUCHEN! Auch du wirst dich an irgendeinem Punkt wiederfinden. 

Die Autorin zeigt anhand ihrer Figuren wie unterschiedlich Personen sein können, die diskriminiert werden und wie sie damit umgehen. Sie lässt viel Raum für Selbstreflexionen. Vieles ist einem vielleicht noch gar nicht bewusst. Mit Absicht weist sie ihren Protagonistinnen kein Herkunftsland zu, berichtet nicht über ihren kulturellen oder religiösen Hintergrund oder in welcher Stadt sie leben. Und daran sieht man es schon, tatsächlich, wir fragen uns die ganze Zeit, woher sie denn kommen und warum sie denn in Deutschland sind usw. Wir machen uns am Ende einfach unser eigenes Bild... Doch ob das stimmt?

Saya kommt aus einer Familie, die aus politischen Gründen flüchtete. Sie promoviert in Pädagogik und ist die Heldin für ihre Freundinnen, denn sie platzt vor Selbstbewusstsein. Und vor Wut. Als Schulkind hatte sie ein Schlüsselerlebnis, als ihre Tanten aus dem Ausland zu Besuch waren und diese ohne weiteres in einem Technikgeschäft als Diebinnen dargestellt worden sind oder im Bus schräg angeschaut worden sind. Saya sieht von diesem Moment an nur noch Rassismus. Sie ist soooooooooooo wütend auf jede (Vor-)verurteilung und vor allem auf Nazigruppen. Das kann sie nicht mehr einfach hinnehmen, es muss was verändert werden. Dieses Thema bestimmt schließlich ihr ganzes Leben, ihren gesamten Charakter. Sie kann das Leben nicht genießen, ist immer ernst, kann sich für andere nicht freuen, erfindet beschönigte Geschichten... Wenn es sein muss, schlägt sie um sich....

Kasih, die Erzählerin, bleibt blass. Sie hat Soziologie studiert und muss nun zum Jobcenter, wo man kein Gehör für Akademiker hat. Ihr Vorzeige-Deutscher-Gutmensch-Freund Lukas hat sie verlassen. Und sie macht sich große Sorgen um Saya, die von einem Nazi-Prozess, der hier auch nicht benannt wird, welchen sich aber jeder denken kann, fasziniert ist. Eine Truppe von Neonazis organisierte Morde an muslimischen Frauen und nun soll der Prozess beginnen. Und zufällig ist Saya so einem Sympathisanten dieser Truppe begegnet. Und ihre Wut muss raus.- Kasih ist die, die zwischen den beiden Stühlen ihrer Freundinnen steht. Sie weiß noch nicht, wohin sie sich begibt und wie sie handeln soll. Immer wieder entlarvt sie auch sich selbst und ihre Freundinnen dabei, Vorurteile zu haben.

Hani ist die Dritte, die erst später dazu gekommen ist. Ihre Familie flüchtete vor einem Bürgerkrieg, aus Gründen des nackten Überlebens. Sie hat viel erlebt. Aber sie kann sich nicht aufregen, es muss endlich alles gut sein. Sie will das Leben genießen und lachen, sich mit den schönen Dingen beschäftigen. Gut sein. Und so hat sie einen Job bei einer Agentur für Tierwohl, wo jede Arbeit auf sie abgewälzt wird. Doch sie will den Mund nicht aufmachen, denn dann würde ihre Seifenblase zerplatzen. Doch dass sie das längst ist, hat Hani auch schon herausgefunden...

 

Der Schreibstil ist provokant, aggressiv, illusionsbrechend. Er ist locker und flüssig, einfach zu verstehen. Manchmal muss man aber schon genau lesen, denn wenn nicht... Der Stoff regt zum Nachdenken und Reflektieren über den Umgang mit anderen an. Darüber kann man viel diskutieren. Und es ist auch wichtig, dass mal darüber gesprochen wird, worüber sonst niemand spricht. Kann man überhaupt von jeglichem Vorurteil frei sein oder sind Vorurteile menschlich? Und wo beginnen Hass, Rassismus und Diskriminierung? Steckt dies nicht auch in jedem von uns?

Kommentare

wandagreen kommentierte am 26. Mai 2021 um 09:13

Der Roman hat es mir nicht gezeigt. Was er mir gezeigt hat, war eine Menge unreflektierter Rundumschläge. Der Sache nicht angemessen.

lesesafari kommentierte am 30. Mai 2021 um 18:10

Der Anspruch war ja nicht, etwas Wissenschaftliches zu verfassen, sondern viel mehr die eigene Lebenserfahrung abschaulich zu verarbeiten.
Und wir wissen ja, wenn man den Mund nicht aufmacht und alles verdrängt, dringt es irgendwann an die Oberfläche und platzt mit einem PEEEEeeenG!

alasca kommentierte am 29. Mai 2021 um 19:04

Das sehe ich ja ganz anders als wandagreen. Ich finde, der Roman hält uns (trotz einger Schwächen) sehr gut den Spiegel vor - und deine Rezi bringt es auf den Punkt.

lesesafari kommentierte am 30. Mai 2021 um 18:12

Oh danke. :) Das freut mich.

Schaut euch die 3.sat Folge "Unter Büchern bzw. "Können Bücher Heimat sein" zur Leipziger Buchmesse in der Mediathek an.