Rezension

Beunruhigend und beängstigend

Die Welle - Morton Rhue

Die Welle
von Morton Rhue

Bewertet mit 5 Sternen

Wie jeder weiß, geht es in diesem Buch darum, dass ein amerikanischer Lehrer seine Klasse davon überzeugen möchte, dass der Nationalsozialismus heute auch noch möglich wäre. Diese Idee entstand, als die Schüler sich darüber entrüsteten, wie die Deutschen es mit ihrem Gewissen ausmachen konnten, die Augen z B. vor der Judenvernichtung im Nationalsozialismus zu verschließen. Sie selbst sind sich sicher: sie hätten ganz anders gehandelt. Dieses Buch beruht auf einer wahren Begebenheit.

Mich selbst hat dieses Buch schon sehr lange brennend interessiert, da ich sowohl den deutschen als auch den amerikanischen Film zu diesem Buch mehrmals gesehen haben. Zugleich behandele ich dieses Thema auch in meinem Geschichts-LK und bin dementsprechend vertraut mit dem Ganzen und den ganzen detaillierten Hintergründen. Genauso wie bei den Schülern gab es auch bei uns die Diskussion, wie dieses erschreckende Phänomen im Nationalsozialismus möglich gewesen wäre.

Ich habe mehrere wissenschaftliche Quellen zu diesem Thema gelesen, darunter auch z. B. die umstrittene Theorie Goldhagens. Nun interessierte mich, wie ein Autor dieses Experiment wohl darstellen würde. So wirkliche Vorstellungen konnte ich mir nämlich nicht dazu machen.

Das Buch hat mich von der ersten Minute an gefesselt. Es war erschreckend zu sehen, welche Macht die Gruppe, die sich weniger später auch als "Die Welle" bezeichnete, von Beginn an hatte. Zunächst hegt auch niemand einen negativen Verdacht. Alle sind glücklich, weil sie nun endlich eine Gemeinschaft sind. Außenseiter gibt es nicht mehr. Aber es gibt eben auch nicht mehr die "Besten". Gerade das wird dem ersten Mädchen, das Widerstand leistet, zum Vorwurf gemacht: dass sie nicht damit zurecht käme, dass sie nichts Besonderes mehr sei.

Die Dynamik der Gruppe wird in diesem Buch immer deutlich erkennbarer und spiegelt so auch die Realität des Nationalsozialismus wieder. Auch die Entwicklung des Lehrers, der natürlich selbst gegen das Konzept des Nationalsozialismus war, entwickelt sich zum Negativen, was er auch feststellt, wogegen er aber nicht so wirklich etwas tut und das auch nicht möchte, auch wenn er sich das nicht so richtig eingestehen kann.

Gerade aus psychologischer Sicht ist dieses Buch von äußerster Brisanz, da es aufzeigt, wie schnell Menschen dazu neigen, ihre Verantwortung und ihre Freiheit freiwillig ab- und aufzugeben. Nicht nur die Schüler bekommen in diesem Buch eine Lektion erteilt, sondern auch der Leser. Morton schafft es mit seinem feinfühligen Schreibstil, den Leser ins Geschehen zu involvieren und regt ihn damit auch zum Nachdenken an. Selbst als Leser kann man sich der Welle nicht so recht entziehen, auch wenn man weiß, wie falsch sie ist. Denn gerade das macht dieses Buch aus: die reflektierte Darstellung der Welle, die aber trotz der zum Ende hin überaus negativen Darstellung eine gewisse Magie und Anziehungskraft verstrahlt. Aber gerade deswegen ist dieses Buch so erschreckend! Denn auch die Schüler wussten schon vor dem Experiment, was der Nationalsozialismus aus den Menschen gemacht hat und wie solche Konzepte enden.

Ein Buch, das wirklich jeder Mensch gelesen haben muss, um ein solches Verbrechen gegen die Menschheit nie wieder passieren zu lassen. Jeder, der sich mit dem Nationalsozialismus und seiner Ideologie befasst, sollte sich mit diesem Buch auseinandersetzen. Es lässt einen die Menschen von damals besser verstehen, aber zugleich ist es auch eine Warnung an die Gegenwart.
Denn auch wenn es niemand wahrhaben will: so etwas kann immer und immer wieder passieren. Die Menschheit muss sich mit den Fehlern aus der Vergangenheit befassen, um aus ihnen zu lernen. Das ist das Resultat dieses beunruhigenden Buches, welches jeden Einzelnen zutiefst verängstigen sollte.