Rezension

Beeindruckende Stofffülle

Ritchie Girl
von Andreas Pflüger

Bewertet mit 5 Sternen

1946 in Deutschland, der Zweite Weltkrieg ist zu Ende, in den Nürnberger Prozessen wird über Kriegsverbrecher Gericht gehalten. Aber machen wir uns nichts vor, viele von ihnen sind durch die Maschen geschlüpft, fliegen unter dem Radar, sitzen in einflussreichen Positionen, machen schon wieder ihre Geschäfte mit Duldung der Siegermächte.

„Ritchie Girl“ Paula Blohm ist zurück in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist. Als Tochter einer deutschen Mutter und eines amerikanischen Vaters hat sie Deutschland in Richtung Amerika verlassen, später ein Studium absolviert, danach Anwerbung durch das US-Militär und Ausbildung für Geheimdienstoperationen in Camp Ritchie, dem „Military Intelligence Training Center“ der Streitkräfte in Maryland. Danach wegen ihrer Sprachkenntnisse nach Europa geschickt, schließlich in einer Einrichtung der Amerikaner in Frankfurt gelandet, wo sie die Identität Johann Kupfers klären soll, der von sich behauptet, der berühmt-berüchtigten Spion „Sieben“ zu sein. Allerdings kommt ihr dabei ein persönliches Interesse in die Quere, da sie glaubt, dass dieser Informationen über den Verbleib Georgs, ihrer ersten Liebe, hat.

Paulas Geschichte ist nur der fiktionale Aufhänger für die Unmenge an historischen Fakten, die Andreas Pflüger in diesen Roman eingearbeitet hat. Es geht nicht nur um diese Zeit unmittelbar nach Kriegsende, um die Doppelmoral, in der die blütenweiße Weste der amerikanischen Befreier hässliche Flecken abbekommt, da auch sie schützend ihre Hand über Nazis halten, die für sie von Nutzen sind. Interessant sind vor allem die Rückblicke, die einen entlarvenden Blick auf die Verflechtungen von Wirtschaft, Kunst und Kultur mit dem Nationalsozialismus offenbaren. Jede Menge bekannte Namen von Politikern, Industriellen, Autoren, Künstlern, die nach Kriegsende schnell wieder in Amt und Würden sind.

Es ist eine beeindruckende Stofffülle, die der Autor hier verarbeitet hat und die deshalb konzentriertes Lesen erfordert. Und ein Roman, dem ich viele Leser wünsche. Lesen. Unbedingt.