Rezension

Bedrückend

Shuggie Bain -

Shuggie Bain
von Douglas Stuart

Ein Vergleich zu Hanya Yanagihara drängt sich auf - selten wird man als Leser nämlich so schonungslos mit den dunklen Seiten des Lebens konfrontiert wie in seinem 'Ein wenig Leben' oder eben diesem Werk, in dem der kleine Shuggie - feminin, zart und unverstanden - in der trostlosesten Welt, die man sich vorstellen kann, groß werden muss.

 Agnes ist Alkoholikerin, ihre glückliche erste Ehe verließ sie, im Schlepptau ihre zwei ersten Kinder, aus Langeweile zugunsten eines notorisch fremdgehenden Taxifahrers, Shuggies Vater. Der stellt die klammernde Agnes und die Kinder irgendwann in Pithead - einem heruntergekommenen ehemaligen Arbeiterviertel am Rande von Glasgow ab, wo die drei von Anfang an auf verlorenem Posten kämpfen. Feindselige Nachbarinnen, die sich an Agnes Sucht und ihren Ausbrüchen ergötzen und diese provozieren, ihr ihr dennoch gepflegtes Aussehen neiden und jeden Skandal, der sie von ihrem eigenen trübseligen Leben ablenkt, bis zum Letzten auskosten. Grausame, rohe Kinder, die jede Schwäche ausnutzen und grobe Männer, die weder Anstand noch Moral besitzen. Die große Schwester flieht, sobald sie kann, auf einen anderen Kontinent, so dass Shuggie und seinem großen Bruder die Aufgabe zufällt, Agnes wieder und wieder vor sich selbst und der Welt zu retten. Und dabei noch sich selbst. Eine unlösbare Aufgabe. 

Wenn man keine persönlichen Erfahrungen mit 'richtigen' Alkoholikern hat, nicht in einem Problemviertel, in dem Überfälle, Vergewaltigungen und Bandenkriminalität an der Tagesordnung liegen, groß geworden ist und als Kind nicht wieder und wieder komplett auf sich allein gestellt war, ist der Roman von Douglas Stuart ein Schock. Es ist kaum zu ertragen, wie trostlos die Realität für manche Menschen ist bzw. war. Denn es ist keine erzählerische Freiheit, die der Autor hier walten lässt, der Roman hat autobiografische Züge, denn Stuart wuchs selbst in dem Arbeiterviertel unter einer alkoholkranken Mutter auf. Über lange Strecken gibt es in 'Shuggie Bain' keine Hoffnung, nicht den leisesten Schimmer: keine Freunde, keine Hilfe, kein Frieden, kein Licht. Schonungslos lässt der Autor einen Schlag nach dem anderen niedergehen und man fragt sich wieder und wieder, wie Shuggie es überhaupt schaffen konnte. Dass er nicht in einer dunklen Gasse gemeuchelt wird, ist eigentlich das einzige Schlimme, das ihm nicht passiert. 

Die Lektüre ist schwer zu ertragen und bedrückend. Sie lässt einen auch nach dem Schließen der Buchdeckel nicht los. Das war bei 'Ein wenig Leben' ähnlich. Letzter war allerdings erzählerisch wesentlich dichter gewebt als die schonungslose Schilderung Stuarts, dessen Realität jeden belletristischen Ansatz ersticken muss. Zudem verliert der Autor in der ersten Hälfte des Buches viel Zeit mit Agnes und lässt den Leser nur ahnen, was ihr Verhalten bei einem Kleinkind bewirken mag. Soll das Buch ein Porträt der Mutter sein, ist das vollkommen in Ordnung, soll es aber - wie beworben - um den Jungen gehen, hätte die Gewichtung anders ausfallen müssen. 

Das Buch ist Augenöffner, Zeitporträt, Milieustudie und Warnung, es ist wie ein erschütternder Dokumentarfilm - nicht angenehm, aber informativ und wichtig.