Rezension

Aufwachsen mit dem großen Schweigen

Ada
von Christian Berkel

Bewertet mit 4 Sternen

Sie ist zwar in Deutschland geboren, doch viele Erinnerungen hat Ada nicht, als sie mit ihrer Mutter aus Argentinien nach Berlin zurückkehrt. Der ihr als ihr Vater vorgestellte Mann ist für sie ein Fremder, fremd ist auch die Sprache, die Mentalität, der ganze Alltag. Auf diese Nachkriegskindheit blickt die Titelfigur von Christian Berkels Roman "Ada" als erwachsene Frau zurück, die Mauer ist gerade gefallen, doch sie selbst steckt gerade in einer Sinn- und Lebenskrise, erzählt einem Psychiater aus ihrem Leben.

Als kleines Kind wollte Ada lange nicht sprechen, in Deutschland ist sie von Schweigen umgeben, wie viele ihrer Generation, die lange nicht einmal wissen, welche Fragen sie eigentlich stellen sollen. Es ist das Leben, die Generation "nach der Sintflut". Die jüngste Vergangenheit ist tabu,  als Ada zum ersten Mal von einer Mitschülerin den Namen Hitler hört, kann sie sich nichts darunter vorstellen. Dabei geht es in ihrer Familie nicht einmal um  verdrängte Schuld, die man am liebsten vergessen will: Adas Mutter Sala ist Jüdin, auch wenn sie nichts von ihrem Glauben und ihrer Identität an Ada und deren Bruder weitervermittelt. Die unbekannte Großmutter kämpfte als Anarchistin gegen Franco, saß in der Todeszelle, der bisexuelle geliebte Großvater Jean war wegen Homosexualität im Konzentrationslager. 

Ada erfährt vieles davon erst spät - von einer Tante in Paris, die sie mit zu ihrer ersten Bar Mizwah nimmt, von der Freundin ihrer Mutter, die bei allen Familienkrisen tatkräftig hilft. Nicht nur bei den Täterfamilien wird geschwiegen.  Diese Zeit der Verdrängens und Schweigens, der Prüderie und der vielen Tabus zeichnet Berkel in einer oft bedrückenden Atmosphäre. Hinzu kommt bei Ada, aber auch bei ihrer Mutter, das Gefühl der Entwurzelung. Ada weiß lange nicht, in welchem Land sie sich zu Hause fühlen soll, fühlt sich zudem als Kuckuckskind - ist ihr Vater gar nicht ihr biologischer Vater? Sala hingegen ist ruhelos, getrieben, muss aufbrechen. Geht sie wirklich zu einem letzten Abschied nach Buenas Aires, oder geht sie zu dem anderen Mann nach Paris? Darüber grübelt nicht nur Ada.

Erste seuxelle Erfahrungen ohne jeglicheAufklärung, festgefahrene Geschlechterverhältnisse und schließlich die Aufbruchsstimmung der 60-er Jahre  prägen die zweite Hälfte des Romans. Das Rolling Stones-Konzert im Waldstadion, erste Drogenerfahrungen, ein Hauch von Revolution, und Ada ist mittendrin. Dass aber auch in den angeblich progressiven Wohngemeinschaften das Kloputzen Frauensache sein soll, will sie aber nicht einsehen. Der Tod von Benno Ohnesorg ist ein einschneidendes Erlebnis, in Paris erlebt Ada die Eleganz des Modeateliers ihrer Tante, die jüdische Welt des Marais, die dortige Revolte, doch letztlich bleibt sie eine Suchende, Aufbrechende. 

Als Zeitgemälde ist "Ada" stimmig,. Bemerkenswert gut kann Berkel seine innere Frau aktivieren und mit Ada eine glaubwürdige Frauenfigur schaffen. Nur am Ende, beim Sprung von den 60-erm in die Gegenwart, verliert das Buch an Stringenz - die Entfremdung Adas und ihrer Familie, die sich einmal mehr in jahrelangem Schweigen ausdrückt, ist schwer nachvollziehbar, die Entwicklung der erwachsenen Frau zu schnell abgehakt, die Auslöser ihrer Lebenskrise bleiben offen - da fehlt die verbindende Klammer zwischen den 50-er und 60-er Jahren und der Zeit nach 1989, hier hätte ich gerne noch einige Lücken aus der Biografie von Ada gefüllt gesehen. Als Familien- und Gesellschaftspsychogramm der frühen Bundesrepublik zwischen Wirtschaftswunder, 68-erGeneration und dem großen Schweigen statt einer echten Vergangenheitsbewältigung spannend zu lesen