Rezension

Aufrüttelnd

Der Nachtwächter
von Louise Erdrich

Bewertet mit 4 Sternen

In unseren Breiten denkt man nicht darüber nach, was seit dem letzten Mohikaner mit Amerikas Ureinwohnern passiert ist. Dass sie in Reservate gesteckt wurden, hat man lose im Hinterkopf, auch wenn man es sich nicht vorstellen möchte. Dass aber selbst diese Reservate irgendwann als störend empfunden wurden, weil sie Land darstellten, auf das Restamerika keinen Zugriff hatte und dort noch immer Menschen lebten, die seltsame Gebräuche und seltsame Sprachen pflegten, weiß niemand.

1953 ist das passiert. Mit den sogenannten Terminierungsgesetzen wollte man die verbliebenen Reservate ins restliche Amerika „eingliedern“, deren Sonderstatus mit allen dazugehörigen Rechten „emanzipieren“ und alle Indianer umsiedeln, um das Land anderweitig zu nutzen.
Davon erzählt dieses Buch anrührend und eindringlich, angelehnt an die Geschichte des Großvaters der Autorin.

Thomas Wazhashk arbeitet als Nachtwächter in der Lagersteinfabrik, um den Unterhalt für seine Familie zu verdienen. Gleichzeitig ist er aber auch Vorsitzender des Stammesrats, des Turtle Mountain Advisory Commitee. Als er liest, dass sein Stamm, der Turtle Moutain Band of Chippewa, für die sofortige Emanzipation vorgesehen wäre, kommt er ins Grübeln.

Nacht für Nacht schreibt er Briefe, Protestbriefe, Beschwerdebriefe, Anträge, Nachfragen. Es kann nicht sein, dass sie damit durchkommen.

Hier hat ein kleiner Mann durch Beharrlichkeit Geschichte geschrieben. Dieses absonderliche Ereignis wird hier anschaulich erzählt. Dazu bekommt man noch einen spannenden Einblick in indianisches Leben und Denken und die zahlreichen Probleme, die damit verbunden sind. Die Dorfgemeinschaft bietet skurriles Personal jeder Art, selbst Geister und Tiere spielen eine Rolle bei diesem noch immer naturnah lebenden Volk.

Der Erzählstil ist schön, humorvoll und auch poetisch. Allerdings fallen immer wieder sperrige Textstellen auf, bei denen man stutzt.

„Thomas hielt inne. Archilles Unkenntlichkeit am Ende, so ausgezehrt, jenseits des Hungers. In dem weißen Bett. Zwischen schroffen Bergen.“

"Dann ließ er ihre Hände sinken und strebte ihr zu."

"Wie sollten die Indianer ihre Eigenheit behaupten, wenn die Eroberer sie in die Arme schlossen und mit so etwas wie Liebe sich ans Herz pressten?"

Bei so etwas frage ich mich, ob es unglücklich formuliert wurde oder ob es unglücklich übersetzt ist, vermute allerdings Letzteres bei einem Buch, das Preise verliehen bekommt. Vielleich sollte man besser das Original lesen.

Trotzdem ist dieses Buch sehr lesenswert. Ein spannendes Stück Geschichte und ein aufschlussreicher Beitrag zum indianisch-amerikanischem Miteinander.