Rezension

Atmosphärisch sehr dicht

Der Verdacht
von Ashley Audrain

Bewertet mit 5 Sternen

Mutter zu werden ist für viele Frauen fester Bestandteil ihrer Lebensplanung. Blythe hat diesen Drang bisher noch nicht verspürt, ist ihr das Leben mit ihrem Mann Fox doch erfüllend genug. Als dieser aber ein gemeinsames Kind ganz selbstverständlich als nächsten Schritt ins Gespräch bringt stimmt Blythe zu und so werden die Beiden Eltern der kleinen Violet. Violet, ein rundum gesundes Baby, das das Herz aller im Sturm erobert, nur das ihrer eigenen Mutter irgendwie nicht. Blythe fühlt sich ihrer neugeborenen Tochter vom ersten Moment an fremd, glaubt sogar das Baby würde sie absichtlich ablehnen. Zuerst schiebt sie ihre Empfindungen auf die schwierige Geburt, aber bald ist sie überzeugt davon das ihre Tochter zwei Gesichter hat, das süße unschuldige und das abweisend böse, das allerdings nur Blythe kennt.

Ashley Audrain beschreibt in ihrem Debüt die scheinbar heile Welt eines Paares, welches sein Glück durch ein Kind krönen möchte. Das das Paar dabei ganz unterschiedlich Erfahrungen im Bezug auf Familie mitbringt wird dem Leser schnell klar. Während Fox in einer bilderbuchreifen Familienidylle inklusive aufopferungsvoller Supermum aufwächst ist Blythe's Start ins Leben alles andere als schön. Die Autorin bemüht hier einige Rollenklischees und Stereotypen, baut diese aber absolut glaubwürdig als Grundlage ihrer Figuren ein. 

Der Leser folgt der Geschichte aus einer etwas unüblichen Perspektive. Nach einem Prolog, in dem die Figuren kurz eingeführt werden beginnt Blythe ihre Version der Geschehnisse zu erzählen bzw aufzuschreiben. Sie wendet sich dabei in direkter Anrede an ihren Ehemann. Unterbrochen werden ihre Erinnerungen durch Szenen aus dem Leben ihrer Mutter und ihrer Großmutter. Das Erzählen auf diesen verschiedenen Ebenen ist psychologisch ein guter Schachzug, weil der Leser so an Hintergrundinformationen kommt, mit denen man gut über die Psyche und die Intention der Hauptfigur spekulieren kann. Ein Psychologe hätte an einer Person mit diesem Hintergrund und diesen Erlebnissen seine helle Freude.

Die Autorin schreibt sehr packend. Der Leser begibt sich zusammen mit der Hauptfigur auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle, man hat ständig ein unterschwelliges Gefühl der Bedrohung, der Beklemmung. Man kann dabei aber nie genau sagen, ob dieses Gefühl tatsächlich einen realen Grund hat, oder es der Einbildung der Protagonistin entspringt. Sehr dicht und atmosphärisch erinnert mich das Buch hier auch sehr an einen Psychothriller, obwohl es ja in der Kategorie Roman vermarktet wird.

Ich bin ein sehr visueller Leser, sprich, in meinem Kopf läuft beim Lesen ein Film ab. Nicht unbedingt im Bezug auf das Aussehen der Figuren, aber im Bezug auf die Handlung. Ganz oft betrachte ich so den Stoff eines Buches unter dem Aspekt, ob er einen guten Film abgeben würde. Dieses Buch ist für mich prädestiniert für eine Verfilmung. Wer beim Lesen zu der Schlüsselszene an der Ampel kommt wird verstehen was ich meine.