Rezension

Apokalyptische Urban-Fantasy

Die Auserwählte - Jennifer Bosworth

Die Auserwählte
von Jennifer Bosworth

Bewertet mit 4 Sternen

‟Die Auserwählte“ von Jennifer Bosworth ist ein Roman für junge Erwachsene, der sich Genre-technisch zwischen Urban Fantasy und religiös angehauchtem Endzeit-Roman ansiedeln lässt.

Inhalt: Vier Wochen ist es her, dass Los Angeles von einem schrecklichen Unwetter und einem vernichtenden Erdbeben erschüttert wurde. Es herrschen Hunger und Armut. Mia Price und ihr Bruder Parker gehen zum ersten Mal wieder zur Schule, während ihre Mutter, die nach dem Beben einige Tage verschüttet war, traumatisiert zu Hause vor dem Fernseher sitzt und sich Prophet ansieht, einen religiösen Prediger, der das Beben vorhergesehen hatte und ein weiteres ankündigt: Ein Beben, das die Welt zerstören wird. Die Apokalypse.
Mia hält das alles für Unsinn, aber kaum in der Schule angekommen, lernt sie noch eine weitere Gruppierung kennen, die Suchenden, die ebenfalls Großes kommen sehen. Sie versuchen Mia auf ihre Seite zu ziehen, denn Mia ist Teil einer Prophezeiung der Suchenden. Mia will das nicht glauben, doch sie hat ein Geheimnis. Sie wurde schon oft vom Blitz getroffen und ist süchtig danach. Sie spürt jedes Unwetter kommen. Unter ihrer Kleidung verbirgt sie die Narben der Blitzeinschläge. Welche Rolle spielt Mia für die Vorhersagen der beiden fanatischen Gruppierungen, die sie beide auf ihre Seite ziehen wollen. Und wer ist der geheimnisvolle Jeremy, der sie vor beiden Gruppen warnt?

Meiner Meinung nach ist ‟Die Auserwählte“ im Großen und Ganzen ein gelungenes Beispiel für etwas düstere Urban Fantasy. Besonders die Ich-Erzählerin Mia ist mit ihren 17 Jahren eine spannende Protagonistin dieses Romans, der wahrscheinlich am ehesten die Zielgruppe der jungen Erwachsenen ansprechen wird, aber mir durchaus auch für alle anderen Altersgruppen geeignet scheint. Mia ist sicherlich kein einfacher Charakter, vereint aber sehr ausgewogen starke Eigenschaften, eine gewisse Sturheit und auch sanftere Züge in sich, sodass sie insgesamt einen sehr sympathischen, authentischen Eindruck hinterlässt. Über ihre Vergangenheit und ihre Besessenheit von Unwettern und Blitzen erfährt der Leser erst im Laufe der Geschichte mehr. In diesen besonderen Fähigkeiten der Protagonistin, die durch die Blitzschläge allerdings körperlich auch deutlich gezeichnet ist, lag für mich eine der größten Faszinationen dieses Romans, der allerdings auch noch vieles im Unklaren lässt. Eigentlich liest sich ‟Die Auserwählte“ am Ende nämlich teilweise wie ein Roman, der auf eine Fortsetzung wartet, was wohl zur ursprünglichen Veröffentlichung der englischen Originalausgabe ‟Struck“ von der Autorin auch so angedacht war. Meiner eigenen Recherche zufolge wird es – zumindest vorläufig – aber keine Fortsetzung mehr geben.

Allerdings hat ‟Die Auserwählte“ zumindest eine beinahe vollständig in sich abgeschlossene Haupthandlung und kann auch sehr gut, wenn auch nicht optimal, als Einzelband gelesen werden. Es zeichnet ein düsteres Bild einer nahen Zukunft. Das Zentrum von Los Angeles ist so gut wie zerstört. Nur ein einziger Turm steht noch in den Trümmern. Armut und Hunger bestimmen seit dem Beben das Leben der Menschen, die Kriminalität ist gestiegen. Mitunter aufgrund der allgemeinen düsteren Atmosphäre bietet dieses Buch einen sehr interessanten Genre-Mix aus Endzeit-Roman und Urban Fantasy, der mit einer durchdachten Hintergrundgeschichte gelungen umgesetzt wurde.

Was mich dagegen ein wenig enttäuscht hat, war das Ende dieses Roman, das zwar größtenteils gelungen war, aber für das Gesamtbild der Geschichte mutiger hätte ausfallen können. Für einen derart düsteren, apokalyptischen Roman – und auch mit der ursprünglichen Option in weiteren Bänden noch Auswege und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen – war mir ‟Die Auserwählte“ zum Schluss zu harmlos auf Happy End gebürstet und damit leider auch ein wenig flach. Das Ende passte nicht recht in die Geschichte und, auch wenn es für viele Leser immer beruhigend ist, die liebgewonnenen Charaktere mehr oder weniger in trockenen Tüchern zu wissen, hätte ein Finale mit mehr Tiefe, mehr Schockmomenten und mehr Mut zum unglücklichen Protagonisten der Handlung gut getan, vielleicht noch einmal wachrütteln können. So endete der düstere Roman eine Spur zu gütlich und kam der Grenze zum Kitsch, der er sich zuvor erfolgreich ferngehalten hatte, doch noch gefährlich nahe.

Ansonsten war ‟Die Auserwählte“ nämlich tatsächlich eine Kitsch-freie Zone, und das trotz Liebesgeschichte, die bei Urban Fantasy gerade für junge Erwachsene ja leider meistens eine Garantie für kitschige Romanzen und vollkommen überzogene Liebe-auf-den-ersten-Blick ist. Hier findet die Liebesgeschichte auf angenehmem Weg eher über eine Nebenhandlung Einlass in die Handlung und ist überraschend unaufdringlich und gerade für die menschenscheue Ich-Erzählerin ein schönes Element zur Weiterentwicklung des Charakters.
Auch die Nebencharaktere waren insgesamt gut gelungen, wenn auch teilweise ziemlich fanatisch. Insbesondere Prophet (das ist übrigens sein Name, nicht sein Titel) und seine Anhänger vertreten ihre Ansichten rücksichtslos und mit allen Mitteln, aber auch ihre erklärten Erzfeinde, die Suchenden, sind nicht von schlechten Eltern. Beide Gruppierungen umgibt etwas geheimnisvolles, aber auch übersinnliches, was sich im Laufe des Romans immer mehr zeigen wird.

‟Die Auserwählte“ ist in mehrere Teile gegliedert, die wie ein Countdown die Tage zum finalen großen Unwetter, welches Prophet angekündigt hat, herunter zählen. Der Schreibstil ist dabei angenehm zu lesen, sehr flüssig und verkörpert auf stimmige Weise die junge Ich-Erzählerin. Besonders durch die eindringlichen Beschreibungen des zerstörten Los Angeles' bekommt der Roman eine gelungene dunkle Stimmung, die sich über die gesamten rund 400 Seiten aufrecht erhält. Leider galt das gleichermaßen für die Spannung nicht. War sie am Anfang und auch lange Zeit darüber hinaus fast greifbar, konnte sie dies zum Ende hin nicht aufrecht erhalten. Ausgerechnet das Finale hatte auf mich nicht die überzeugende Wirkung, die ich erwartet hatte und fiel im Vergleich zum Rest des Romans, auch was die Stimmigkeit der Entwicklung angeht, doch deutlich ab.

So finde ich das Ende des Romans weder für einen Einzelband noch für einen fortzusetzenden Auftakt einer Reihe vollständig gelungen. Eine Fragen, gerade die Fantasy-Elemente betreffend blieben noch offen – ein bisschen zu offen für eine tatsächlich durchdachte Idee. Dieses Problem würde eine Fortsetzung eventuell lösen, um hier aber wieder Spannung in die Geschichte zu bekommen, hätte der Abschluss der Haupthandlung etwas interessanter sein dürfen. An der Stelle ist es leider nichts Halbes und nichts Ganzes.

Fazit: Ein gelungener apokalyptischer Urban-Fantasy-Roman mit sehr starker Ich-Erzählerin und schöner Liebesgeschichte. Das Ende war leider nicht das fulminante Finale, das der Rest des Romans verdient hätte, aber insgesamt kann ich das Buch absolut weiterempfehlen. 4 Sterne.