Rezension

Apokalypse oder Neuanfang?

Der Morgenstern
von Karl Ove Knausgard

Bewertet mit 4 Sternen

Die Länge des Romans hat mich kaum überrascht, ist Karl Ove Knausgård doch vor allem durch sein umfangreiches autobiografisches Projekt bekannt geworden. Diesmal steht jedoch nicht er selbst oder seine Familie im Mittelpunkt, sondern neun fiktive Ich-Erzähler, die in der norwegischen Küstenstadt Bergen leben. 

Diese könnten unterschiedlicher nicht sein: eine Pastorin, ein Journalist, eine Krankenschwester … Mühelos wechselt der Autor zwischen den Figuren, gibt jedem einzelnen so klare Konturen und eine eigene Stimme, dass ihre Geschichten einen eigenen Roman füllen würden. Doch Knausgård hat sie alle in ein Buch gepackt, und man fragt sich warum. Eine Gemeinsamkeit haben sie immerhin: Sie beobachten unheimliche Naturphänomene und erleben unerklärliche Dinge, die mir so manches Mal einen Schauer über den Rücken jagten. Einiges erinnerte mich an seine Essaysammlung "Im Winter", in der es auch um das Unbegreifliche des Daseins ging.

Zum Ende hin verdichten sich die Gedanken über die großen existenziellen Themen wie Freiheit, Religion und ein Leben nach dem Tod, die mir viel Konzentration abverlangten. Die Mühe hat sich jedoch gelohnt, auch wenn die einzelnen Geschichten viele Fragen offen ließen. Der Autor beschreibt in dieser Dystopie sehr eindringlich, auf was für eine Welt wir zusteuern, wenn wir aktuelle Krisen ignorieren und immer weitermachen wie bisher.