Rezension

Alleingänge und Sprücheklopfer - Ein Klischee-Thriller

Seelenriss - Hanna Winter

Seelenriss
von Hanna Winter

Bewertet mit 2.5 Sternen

„Seelenriss“ von Hanna Winter ist an sich bereits der zweite Teil ihrer Reihe um die Kriminalpsychologin Lena Peters, die beim Berliner Morddezernat Jagd auf Serienmörder macht. Das Buch kann aber auch ohne den Vorgänger „Opfertod“ gelesen und verstanden werden, da die Fälle, wie so oft bei Krimi/Thriller-Reihen, unabhängig von einander und die übergeordneten Zusammenhänge, wie etwa das Privatleben der Protagonisten, durch kurze Rückblenden schnell erfasst sind.

Inhalt: Eine Frau wird mit starken Verätzungen im Gesicht und nach einem Fenstersprung aus ihrer Wohnung tot aufgefunden. Während Kollegen den Fall schon als Selbstmord abtun möchten, ist für die hinzugerufene, erfahrene Kriminalpsychologin Lena Peters sofort klar, dass es sich um einen Mord handeln muss und schon bald findet sie den Beweis. Das Opfer hat eine Nachricht erhalt. „Tu, was ich dir sage. Oder ich töte dich.“ Diese Botschaft kennt Lena nur zu gut, denn ihr selbst wurden nur Tage zuvor die gleichen Worte zugestellt. Steht sie also auch auf der Liste des Mörders? Die gefundene Frau bleibt jedenfalls nicht sein einziges Opfer…

Ich muss sagen, im ersten Moment war dieser Thriller für mich sehr vielversprechend. Mit Sätzen wie „Nur Profilerin Lena Peters kann sein blutiges Geschäft beenden“ auf der Rückseite des Bucheinbandes versprach „Seelenriss“ sich dem aktuell erfolgreichen Trend der Profiling-Serien anzuschließen und möglicherweise sogar eine deutsche Entsprechung spannungsgeladener amerikanischer Reihen, wie etwa der von mir sehr gern gelesenen „Smoky-Barrett“-Reihe von Cody McFadyen, zu sein.

In Sachen Grausamkeit muss sich der blutrünstige, eiskalte Killer aus Hanna Winters Phantasie sicher nicht hinter denen amerikanischer Pendants verstecken – „Seelenriss“ ist blutig, erschreckend und die perfiden Morde sind bis ins grausamste Detail hinein beschrieben. Das kritisiere ich auch nicht, denn viele Thriller, die mich richtig mitgerissen haben, kratzen an dieser Grenze des Ertragbaren. Zart besaiteten Lesern kann man an dieser Stelle immer wieder nur empfehlen, nicht zu Büchern zu greifen, die den Aufdruck „Thriller“ tragen, denn sehr blutig wird es hier in den meisten Fällen, während „Kriminalromane“ oder auch „Psychothriller“ beim Blutniveau häufig harmloser daher kommen.
Was „Seelenriss“ dann allerdings nicht schafft, ist, die Morde, für deren Zählung man bei dem gerade einmal rund 300 Seiten starken Taschenbuch schon mehr als nur die Finger einer Hand benötigt, in eine glaubhafte Ermittlungsarbeit oder gar eine Art des Profilings einzubinden – und das war enttäuschend.

Denn, ob Lena Peters Profilerin und darin angeblich, wie mehrfach erwähnt wird, eine der besten Deutschlands ist, spielt eigentlich keine Rolle. Die Mordermittlungen wirken eher wie eine Bestandsaufnahme. Ein Mord nach dem nächsten wird abgehandelt, im Anschluss daran stochern die Kommissare ein wenig im Leben von Opfern und anderen Beteiligten herum und zaubern dabei ein paar Überraschungen hervor, die vielleicht nicht uninteressant wären, für die Geschichte selbst aber jedes Mal so irrelevant sind, dass sie, kaum aufgedeckt, unkommentiert im Sande verlaufen.
Ein Profil des Täters, das auf dessen Spur führt? Fehlanzeige. Zufällige Befragungsergebnisse und eine ordentliche Portion konstruiert wirkender Zusammenhänge führen die Polizei auf die richtige Fährte – ernstzunehmende falsche Fährten gibt es bei dieser eher wenig spannenden Mördersuche übrigens auch erst gar nicht. Abgesehen von der bereits im Klappentext erwähnten Selbstmordtheorie von Lenas unsympathischsten Kollegen natürlich, die allerdings so offensichtlich an den Haaren herbeigezogen war und der Betrachtung durch Ermittler und Leser kaum mehr als drei Sätze lang standhielt, dass ich allein die Idee aus dem Mund eines Kommissars mehr als unglaubwürdig fand.

Mit Glaubwürdigkeit hat die Geschichte allerdings auch insgesamt von Anfang an nicht viel am Hut. Ein paar harte Typen, die harte Sprüche klopfen, gerne eingeleitet von einem „Verdammt, …“, bilden das Team der Mordermittler. Allen voran, die härteste von allen, ist Lena Peters selbst. Ständig auf eigene Faust, ständig in Gefahr. Nie informiert sie ihre Kollegen über das Geschehene, trotz Morddrohung denkt sie kaum nach. Dass ihr vom Anblick von Blut übel wird, könnte sie menschlicher machen, dass sie sich aber dann die Bilder blutüberströmter Opfer an den Kühlschrank pinnt, macht sie widersprüchlich und zu einem undurchdachten Charakter, der mich leider in keinem Punkt überzeugen konnte. Vieles wirkte einfach eine gehörige Spur zu gewollt und schon am Anfang der Geschichte war eigentlich vorauszusehen, wie sie für Lena enden würde. Ein klassischer Schema-F-Thriller, wenn es um Geschichten mit persönlich involvierten Ermittlern geht.

Was das fehlende Profiling angeht, so kann das der Leser gleich selbst erledigen. Der Täter tritt nämlich auch selbst als Protagonist in Erscheinung, zwar anonym, aber mit so umfassend dargelegten Hintergrundinformationen, dass bis auf ein paar Details, die am Ende dazugesetzt werden, seine Motivation hinter den Morden schnell zu durchschauen ist. Er ist dabei leider auch weder ein besonders spannender, noch ein besonders glaubwürdiger Serienmörder, der abgesehen von seinen perfiden Methoden und seiner unübertreffbaren Grausamkeit kaum für einen Gänsehautmoment gut ist. So ganz abnehmen konnte ich dieser blass bleibenden Gestalt ihre Wandlung zum Monster jedenfalls nicht.

Sprachlich ist „Seelenriss“ dabei eigentlich ganz gut umgesetzt, auch die wechselnden Perspektiven haben Potential. Obwohl von der Geschichte wenig übrig bleibt und man angesichts der sehr konstruiert wirkenden Handlung und der Charaktere der Marke „harter Hund“ gelegentlich aus dem Kopfschütteln kaum noch herauskommt, lässt sie sich flott und teilweise sogar recht spannend, wenn auch nicht wirklich mitreißend oder gar nervenaufreibend, lesen.
Ein wenig enttäuschender zeigte sich der Thriller dann wieder in der offenbar vorher versäumten Recherchearbeit. Denn, wenn ich lese, dass die Flasche mit der Salzsäure, von der Autorin auch als „hochgiftige Flüssigkeit“ bezeichnet, von der Protagonistin anhand des Totenkopf-Piktogramms identifiziert wurde, muss ich leider feststellen: Auch wenn mir dieser Punkt aufgrund eines beruflichen Heimvorteils sofort ins Auge fiel, kann doch jeder Laie mit gängiger Suchmaschine und Online-Lexikon innerhalb weniger Sekunden herausfinden, dass ein solches Gefahrensymbol bei Salzsäure überhaupt nicht zu finden ist. Salzsäure ist ätzend, nicht „hochgiftig“ und das wird durch ein anderes Piktogramm, nicht durch den Totenkopf, gekennzeichnet. Da die Säure ein nicht unbedeutendes Element dieses Thrillers ist, empfinde ich solche Detailfehler als ärgerlich, auch wenn es sicherlich ein eher kleinlicher, nicht allzu stark ins Gewicht fallender Kritikpunkt ist.

Fazit: Eine eher unterdurchschnittliche Thriller-Erfahrung. Von dem versprochenen Profiler-Eigenschaften der Hauptfigur war wenig zu spüren, dafür wurde in Sachen blutiger Grausamkeiten, riskanter Alleingänge und harter Sprüche dick aufgetragen, was die eher flache Handlung nicht überdecken konnte, den Thriller dafür aber mit vielen Klischees versorgte. Da die 300 Seiten zwar nicht die Thriller-übliche Gänsehaut, aber wenigstens ein Mindestmaß an Spannung zu bieten hatten, vergebe ich knappe drei Sterne. „Seelenriss“ ist zwar nicht besonders lesenswert, aber für zwischendurch durchaus lesbar. Es gibt allerdings auch viele Thriller dieser Art, die deutlich besser umgesetzt sind, weswegen ich es nicht weiterempfehlen würde.