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Literatur und Musik: Raumpatrouille & Memory Boy – Matthias Brandt und Jens Thomas in der Festhalle Viersen (10.10.2018)

Die Halle wird verdunkelt, die Bühne beleuchtet. Matthias Brandt und Jens Thomas kommen, unter Beifall, der Pianist setzt sich an den Flügel, der Schauspieler rechts davon auf einen Stuhl. Thomas spielt von seiner CD »Memory Boy« (2016 bei ROOF Music erschienen) den Song »Home«, dazu spricht Brandt (»Hier wollte ich sein. / Bei ihnen. Für mich. / Nirgendwo sonst«) aus seiner Geschichte »Nirgendwo sonst« (in »Raumpatrouillle. Geschichten«, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2016), wie er es auch auf Thomas’ CD tut. Nachdem der Song beendet ist, beginnt Brandt die Geschichte von vorne zu lesen, die in die Worte »Hier wollte ich sein…« münden wird, begleitet von Jens Thomas am Flügel.

 

Am Schluss seines Buchs schreibt Brandt vom Zusammenhang zwischen seinen Geschichten und der CD des Pianisten: »›Raumpatrouille‹ & ›Memory Boy‹ entstanden parallel und in ständigem Austausch, mal entwickelte sich der Song aus einer Geschichte, dann wieder war es andersherum.

Text und Musik werden sich in einer gemeinsamen Bühnenarbeit begegnen und verweben.

Dieses Buch wäre ohne unsere Freundschaft in der Kunst und im Leben nicht entstanden.«

Den Theater- und Fernsehschauspieler Matthias Brandt, jüngster Sohn von Rut und Willy Brandt, wird man hier nicht vorstellen müssen; man kennt ihn vom »Polizeiruf« und aus vielen Fernsehrollen. Weniger bekannt mag Jens Thomas sein, ein Pianist, dessen Musik sich zwischen Jazz und Pop bewegt; vor »Memory Boy« hat er die CDs »Speed of Grace« (A Tribute to AC/DC; mit Verneri Pohjola) sowie »Goethe! Gesang der Geister« (teils ruhige, teils fetzige Vertonungen von Goethe-Gedichten) aufgenommen. Brandt und Thomas haben zusammen bereits die Projekte »PSYCHO. Fantasie über das kalte Entsetzen« und »ANGST. Eine Wort-Musik-Collage« entwickelt und auf die Bühne gebracht.

 

In » Raumpatrouille & Memory Boy«, der »gemeinsamen Bühnenarbeit«, die er in seinem Buch ankündigt, liest Matthias Brandt die Geschichten »Nirgendwo sonst«, in der er bei einem Freund zu Besuch ist, sich wünscht, auch ein solches »normales« Familienleben zu haben, und am Schluss doch weiß, dass er »nirgendwo sonst« sein will als in dem zu großen weißen Haus, »in dem wir alle uns so leicht verpassten«; »Kein Laut« über den Außenseiter Ansgar; »Blau, gelb und weiß«, in der er sich zum Zauberer hochphantasiert, aber hart auf dem Boden der Realität landet; »Was ist«, in der eine Begegnung mit seinem Vater beschrieben wird.

Über das ganze Programm bleiben Brandt und Thomas an ihren Plätzen – Thomas am Flügel, Brandt rechts davon auf dem Stuhl. Brandt liest als Schauspieler – den Text durch den Vortrag unterstützend, Passagen hervorhebend, durch Bewegungen der rechten Hand illustriert er Stellen des Textes immer wieder. Thomas begleitet ihn auf dem Klavier: teils mit Songs, teils eher jazzig, er greift auch schon einmal in die Saiten des Flügels, singt auch einmal in Obertönen, gelegentlich singt oder summt Brandt mit. Nicht immer konnte ich die Musik – die nur in Teilen auf der CD beruht – auf den Vortrag beziehen, dann wieder hat sie die Lesung des Textes unterstützt, etwa wenn Brandt seine Vortrag zu einer gewissen Atemlosigkeit gesteigert hat, die auch in der Musik zum Ausdruck kam. Wenn ich meine Aufmerksamkeit einmal primär auf die Musik richte, bin ich dennoch leicht wieder im Text; der Vortrag aus Text und Musik entfaltet einen Sog, schafft eine eigene kleine Bühnenwelt.

Am Ende einer Geschichte bleibt nur noch leise Musik, auf die hin eine neue Geschichte beginnt. Die Geschichten, der Vortrag bleibt eine Einheit, es gibt keine Gelegenheit zum Applaus zwischendurch, es gibt keine Pause der Veranstaltung. Nach ziemlich genau eineinhalb Stunden – nach meinem Empfinden genau die richtige Länge, um die Konzentration der Zuhörer nicht zu überfordern – schließt der Vortrag mit den letzten Worten der letzten Geschichte, als Willy Brandt seinem Sohn vorliest und der Junge einschläft:

»… Irgendwo in meinem Bauch vibrierte seine Stimme, die noch besser klang als die von Pa aus Bonanza.

Das alles wollte ich nicht loslassen, und während ich das dachte, schlief ich ein.«

 

Schauspieler und Pianist bekamen viel Beifall – ein ungewöhnlicher, interessanter, sehr intensiver Abend. Matthias Brandt und Jens Thomas treten immer wieder in verschiedenen Städten und mit verschiedenen Programmen auf. Der Besuch lohnt sich.

 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 15. Oktober 2018 um 08:11

Feiner Artikel mit vielen Informationen und Eindrücken.

Steve Kaminski kommentierte am 15. Oktober 2018 um 08:44

Danke für Deinen netten Kommentar!